Renate Tiltmann
Autor(in) Dr.Elisabeth Rudolf
SAW 29
Etaner Swerd nutzt jedes Medium für ihre Kunst. Jedes Medium, das dem Interesse ihrer künstlerischen Arbeit dient, sie möglich macht, fördert, anregt. Phantasievoll, intensiv, expressiv sind ihre Arbeiten der Malerei, der Zeichnung und der Bildhauerei.
Arbeiten mit Papier forderten die Künstlerin mit der Vorliebe für komplexe Themen und intensive Auseinandersetzung in ihrer Fragilität und Vielseitigkeit. Ihre intensive Arbeit mit Papier beginnt 1990. Zunächst sind es Collagen, die ihr die Möglichkeit des Experiments, aber zunehmend der konkreten künstlerischen Auseinandersetzung bieten. Sie nutzt hier wiederum jedwedes Material und Technik, ist jedoch in zunehmendem Maß fasziniert von der konkretesten Form der Auseinandersetzung mit Papier – dem Scherenschnitt. Schnitttechniken und Ausdrucksmöglichkeiten des Scherenschnitts interessieren die Künstlerin und fördern ihre Freude am Schneiden und am Material Papier kontinuierlich. Die Variabilität des Materials Papier, das sie für ihre Collagen schätzt, inspiriert sie auch hier.
In ihren Bildthemen bewegt sich Etaner Swerd weiter in den Sujets, die sie in ihrem gesamten Œuvre beschäftigen. Ihre Themen sind heutig. Es sind aktuelle Themen mit aktiven Menschen, die sie beschäftigen. Sie will die Jetztzeit darstellen und vollzieht mit den für sie selbstverständlichen Bildthemen einen Bruch mit den üblichen Scherenschnittthemen. In ihrer Arbeit „Handyzeit“ gelingt nicht nur die Darstellung einer jungen Frau in zeitgemäßer Frisur und Kleidung, die sie als Frau unserer Zeit identifizieren, sondern sie gibt ihr konkret das Attribut des Mobiltelefons in die Hand. Die Komposition ist an keiner Stelle der Arbeit gestört, der Schnitt verläuft weiter harmonisch: es ist eine in sich geschlossene Darstellung im Scherenschnitt.
Und doch birgt gerade diese Arbeit alle Ansatzpunkte des Arbeitens von Renate Tiltmann, die unter ihrem Künstlernamen Etaner Swerd arbeitet. Sie setzt sich intensiv mit der Geschichte einer Technik auseinander, erweist ihre Referenz und reflektiert die Kontexte in denen sie sich mit ihrer Arbeit bewegt außerordentlich. Ihr Ziel hierbei ist ganz klar das eines jeden anspruchsvollen Künstlers: Das Erlangen eigenen Ausdrucks. Handyzeit repräsentiert somit die Auseinandersetzung der Künstlerin mit Themen der Zeit, die uns alle und damit auch sie selbst beschäftigen, und die Auseinandersetzung mit einer bestimmten Technik. Dies setzt Reibungspunkte voraus und lässt neue entstehen.
Etaner Swerd widmet sich neben offensichtlich aktuellen Themen auch traditionellen Topoi der Kunstgeschichte, die in unseren Tagen wieder verstärkt in den Fokus unserer Betrachtung gelangen: Zweisamkeit. Ihre intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Paare greift die angesprochenen Elemente auf und zeigt wie eindrucksvoll sie auch im Bereich intimer Arbeiten eingesetzt werden. Das „Paar1″ nutzt in seinem kraftvollen Motiv alle Möglichkeiten des Scherenschnitts. Ein eindeutiges kontrastreiches Gegeneinandersetzen von Formen bei aller Subtilität des Genres.
„Der Kuss“ bewahrt sich bei aller kontrastreichen und kraftvoll-flächigen Darstellungsweise die Zartheit des Augenblicks. Die Wahl Etaner Swerds eines gelben Ausgangsmaterials unterstützt die Leichtigkeit dieses Motivs. Der Einsatz von Farbe wird eindeutig als Chance verstanden: der Darstellung und Vermittlung.
Einen Schritt weiter geht die Künstlerin in ihrer Arbeit mit dem Motiv der Paare in ihren Arbeiten „Paar 2“ und „Paar 2 – rot“. Das eindeutige Motiv der Darstellung erfährt seine Erweiterung und Hinterfragung des Bildinhaltes durch die Hinzunahme einer weiteren technischen Ebene. Etaner Swerd nutzt ihren Scherenschnitt „Paar 1“ als Ausgangspunkt für eine zweite Arbeit. Sie nutzt die Möglichkeiten elektronischer Bearbeitung.
Nicht nur wird eine zweite Farbe zum Ausgangsmaterial des schwarzen Kartons hinzugenommen. Sie lässt Teile des Motivs virtuell ausschneiden und erweitert die Darstellung durch Wiederholung dieser Elemente. Details, die klar wieder erkennbar sind und ein potentielles Ansprechen als reines Ornament verweigern. Sie ermöglichen die Intensivierung des Ausdrucks der Darstellung des Paares, legen jedoch gleichzeitig eine Hinterfragung nahe. In Arbeiten wie „Nouvel“ (s. Heftrückseite) kombiniert sie den gelben Scherenschnitt einer weiblichen Figur mit Fotografien von Arbeiten des Architekten Jean Nouvel, für den der Mensch im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht. Technisch gesehen wiederum ein eindeutiger Bruch traditionellen Scherenschnitts, inhaltlich jedoch eine klare Erweiterung der Ausdrucksfähigkeit. Eine Arbeitsweise, die dem experimentierfreudigen Arbeiten von Etaner Swerd entspricht, aber die Gattung des Scherenschnitts zur Diskussion stellt. Sie findet für sich die Bezeichnung der „Papiercutterin“. Diese Begriffsfindung ermöglicht es ihr, weiter Scherenschnitte im traditionellen Sinne zu fertigen, gleichzeitig Erweiterungsmöglichkeiten des Begriffs zu untersuchen und konkrete Angebote zu machen. Nur eine technische und intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Scherenschnitt und seiner Geschichte ermöglicht für sie ein Weiterleben und Weiterentwickeln dieses so wichtigen und wertvollen Kulturguts.
Den großen Wert, den die Künstlerin in ihren Arbeiten auf Körperlichkeit, Lebendigkeit, Aktion und Bewegung legt, wird in allen Motiven deutlich, unabhängig von der Anzahl der Figuren, in der Darstellung von Menschen, Tieren oder Pflanzen. Die Arbeit „Drama“ greift die hier heute vorgestellten Positionen Etaner Swerds abschließend noch einmal auf. Sie nutzt die Flächigkeit des Ausgangsmaterials, seinen großen Kontrastreichtum, vereint abstraktere mit stark körperlichen und realen Momenten und erreicht in diesem Miteinander intensiven, expressiven Ausdruck. Sie greift damit einen wesentlichen Charakterzug des traditionellen Scherenschnitts auf: sie erzählt! Sie illustriert keine Geschichte; Sie setzt sie mit Mitteln des Scherenschnitts künstlerisch um und ist damit Wert der Diskussion auch durch traditionellere Künstler und Künstlerinnen der Gattung des Scherenschnitts. Denn gerade eine inhaltliche Öffnung und die Möglichkeit Bildränder zu sprengen, sollten Diskussion sein innerhalb einer Künstlerszene, die kein Problem mit Lasertechniken hat.
Impressionen von einer Fahrt in die WüsteLibyens 2006
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