Margarete Rhades
Autor(in) Prof. Dr. Hans Helmut Jansen
SAW 24
Am 6 Juni 1926 wurde Margarete Rhades in Neubrandenburg (Mecklenburg) als ältestes von neun Kindern eines Chefchirurgen geboren. Sie besuchte ab 1936 die Oberschule für Mädchen, die sie im Januar 1944 mit dem Abitur abschloss. Margarete Rhades erlebte eine glückliche Kindheit und war schon früh mit der Natur verbunden: „Ich wusste schon eine Menge über Pflanzen“ (4.11.00). Im Hause wurde viel musiziert, der Vater spielte Cello. Nach einer halbjährigen Tätigkeit beim Reichsarbeitsdienst erfolgte der Kriegseinsatz bei den Schein-werfern in Haltern im nördlichen Ruhrgebiet bis zum Februar 1945. Dann wurde die junge Frau nach Hause geschickt. Im April 1945 floh sie in Etappen mit der ganzen Familie von Mecklenburg in den Westen und kam nach Lauenburg der Elbe. Ab September 1945 besuchte sie die Krankenpflegeschule in einem Ausweichkrankenhaus bei Neumünster. Sie hat es in den schweren Nachkriegsjahren auf dem Dorf gut gehabt. Nach Auflösung des Krankenhauses im Jahre 1949 arbeitete sie als Operations- und Narkoseschwester im Allgemeinen Krankenhaus Barmbeck in Hamburg. Im Barmbecker Krankenhaus war sie bis zum Jahre 1954 tätig. Dann hatte sie „die Schnauze voll vom Krankenhaus“ (4.11.00). Die Eltern waren 1946 nach Neubrandenburg zurückgekehrt. Dem Vater war es nicht gelungen, in Schleswig-Holstein eine Chirurgische Praxis aufzubauen.
Da für Margarete Rhades aus finanziellen Gründen ein Medizinstudium nicht in Betracht kam, absolvierte sie ab Herbst 1954 ein zweijähriges Pharmaziepraktikum in einer Öffentlichen Apotheke in Frankfurt/M. mit dem Abschluss des Vorexamens. Ein Studium der Pharmazie an der Universität Frankfurt/Main schloss sich an mit Staatsexamen im Frühjahr 1960. In der „Löns-Apotheke“ in Celle begann sie ihre Kandidatenzeit als Apothekerin und heiratete Sylvester 1960 den Tiefbauingenieur Hartmut Rhades. Das Ehepaar zog nach Wipperfürth im Bergischen Land um, wo sie ihre Kandidatenzeit beendete und ihre Approbation als Apothekerin erhielt. Im Oktober 1961, wurde ein Sohn geboren. Die Familie siedelte nach Langen (Hessen) um. Dort kamen 1963 eine Tochter und 1966 ein zweiter Sohn zur Welt. Als die Kinder das Haus verlassen hatten und ihr Mann im Januar 1994 gestorben war, intensivierte Margarete Rhades ihre Scherenschnittarbeiten, die sie schon in der Kindheit begonnen hatte. Künstlerisches Vorbild war für Margarete Rhades die Meisterin des Scherenschnitts Johanna Beckmann (1869 – 1941), die im Mecklenburgischen Städtchen Burg Stargard aufgewachsen war und dort während der Schulzeit von Margarete Rhades gelebt hatte. Burg Stargard liegt in der Nähe südlich von Neubrandenburg. Zwar hatte sie die berühmte Johanna Beckmann nicht persönlich gekannt. Aber es wurde viel über sie gesprochen. Freunde des Hauses zeigten dem Mädchen Bilder und Bücher von Johanna Beckmann mit Scherenschnitten.
Schneeglöckchen Anemonenblüten
Mit fünfzehn Jahren begann Margarete Rhades mit der Schere Papierschnitte anzufertigen. In langweiligen Schulstunden habe sie unter der Bank Pflanzenbilder geschnitten. Nach dem Kriege fertigte sie während ihrer Zeit in der Krankenpflegeschule Scherenschnitte aus schwarzem Umschlag-Röntgenpapier. Während ihres Pharmaziepraktikums in einer Frankfurter Apotheke entstand im Rahmen einer Fortbildung ein Herbarium mit getrockneten Pflanzen, ergänzt durch zehn Scherenschnitte. Das Herbarium war eine Voraussetzung für das Vorexamen als Apothekerin. Anfang der 80er Jahre wurden die Arbeiten mit der Schere wieder aufgenommen und intensiviert. Dabei skizziert sie auf der Rückseite des Scherenschnittpapiers das Motiv. Vor dem Schneiden betrachtet sie gelegentlich dieses mit der Lupe. Mit eigenen Scherenschnitten nahm sie in Gemeinschaftsausstellungen im Raum Langen teil, später auch im Kloster Michaelstein in Blankenburg und im Hütten-Museum in Thale. Ich lernte die Pflanzen-Scherenschnitte von Margarete Rhades im Jahre 1978 kennen in einer beachtlichen Scherenschnitt-Ausstellung im Alten Rathaus in Langen neben Arbeiten von Hildegard Arndt-Isernhagen (Heppenheim) und Erich Schneider (Langen). Später begegnete ich ihr, nachdem ich ihre Scherenschnitt-Ausstellung in der Kreissparkasse in Langen (März/April 1996) aufgesucht und darüber in Schwarz Auf Weiß berichtet hatte (2. Jahrgang 1996, S. 30). Zuletzt konnte ich die Scherenschnitte von Margarete Rhades in einer Ausstellung im Landschaftsmuseum Seligenstadt bewundern (Juni bis August 2001).
In ihrer alten Heimat stellt sie seit Ostern 2002 im Museum Alte Burg Penzlin ihre Arbeiten aus, einem Museum für Magie und Hexenverfolgungen in Mecklenburg. Die Ausstellung soll später in Rostock gezeigt werden. Passend zum Konzept des Penzliner Museums bevorzugte Margarete Rhades für die Ausstellung „Zauberpflanzen und Hexenkräuter“. Zu meiner besonderen Freude wurde in der Ausstellung das Herbarium gezeigt, das sie während ihres Pharmaziestudiums angelegt hatte, besitze ich doch noch heute ein Herbarium mit getrockneten Heilpflanzen: meine Frau und ich haben im Rahmen unseres Medizinstudiums im Sammersemester 1949 in Freiburg bei den Pharmazeuten eine Vorlesung über Heilpflanzen gehört und diese im Kräutergarten studiert. Dass Margarete Rhades in ihrer alten Heimat Mecklenburg ausstellt, ist besonders glücklich, weil dort auch die Wurzeln ihrer Scherenschnittkunst durch die frühe Prägung ihres großen künstlerischen Vorbildes Johanna Beckmann liegen. Diese besaß wie Margatete Rhades botanisches Fachwissen und vertiefte es mit vorzüglichen kulturgeschichtlichen Kenntnissen.
„Die Kräuter der Frankfurter Grünen Soße“
Ihr 1923 erschienenes Scherenschnittbuch „Pflanzenleben“ war so erfolgreich, dass es fünf Auflagen erlebte. Bei aller Eigenständigkeit der künstlerischen Gestaltung im floralen Scherenschnitt sind gewisse Ähnlichkeiten der Scherenschnitte von Margarete Rhades und Johanna Beckmann unverkennbar: hier wie dort die mit bewundernswerter Akribie und mit viel liebe zur Natur gestalteten z.T. filigranen Scherenschnitte. Es gehört zu der Eigenart der floralen Scherenschnitte von Margarete Rhades, dass sie bei flächigen Blüten durch sog. Innenschnitte die Konturen betont.
Dadurch erzielt sie eine besondere Feinheit. Hier erwähne ich als Beispiel den Schnitt einer Glockenblume (s.o.). Margarete Rhades lässt es gelegentlich nicht bei reinen Pflanzenschnitten bewenden, sondern komponiert sie geschickt unter einem Motiv wie „die Kräuter der grünen Soße“ die in der Abbildung in einem Kreis vereinigt sind.
Eine Verwandtschaft in der Gestaltung des floralen Scherenschnitts ist mit Lotte Cracknell (1898-1951) gegeben, die in ihrem Buch „Kleine Welt am Wegesrand“ eine Fülle trefflicher Scherenschnitte von Blumen, Faltern und Käfern vereinigt. Margarete Rhades hat mit den beiden genannten Künstlerinnen den floralen Scherenschnitt in zarten z.T. filigranen Nachbildungen gepflegt. Anders Dorothea Brockmann (1899-1983). Die Benediktinerin im Kloster St. Walburga in Eichstätt hat vor ihrem Eintritt in das Kloster an den Kunstakademien in Nürnberg und München studiert und 1921 in München das Staatsexamen an der Staatlichen Kunstgewerbeschule abgelegt. Ihr ist in Positiv- wie in Negativschnitten in ihrem Buch „Blumen in Scherenschnitten“ (1953) mehr ein kraftvoller und weniger zarter Stil eigen. Dabei beherrscht sie dank ihrer künstlerischen Ausbildung auch malerische Konzeptionen bei ihren Scherenschnitten.
Zwischen den oben genannten Stilen bei floralen Scherenschnitten gibt es freilich Übergänge: großflächige Dolden und Blätter verlangen zur Wiedergabe eher eine flächige und kräftigere Manier als zarte Gräser und Blüten. In verdienstvoller Weise haben Christa und Claus Weber „Schwarze Kunst im Buch“ (1994) herausgegeben. Hier finden sich nicht nur Bücher mit Pflanzenschnitten, besprochen sondern auch viele Schnitte mit floralen Elementen. Typisch ist das Frontispiz. „Gretchen“, gesäumt von Blumenranken, von Johanna Beckmann (um 1920). Unbekannt sind mir leider Herkunft und Lebensdaten von Gisela Halbach-Keup, die, Botanikerin von Beruf, „Blumen-Gräser-Früchte im Scherenschnitt“ als Buch veröffentlicht hat (1973). Wie Margarete Rhades als Apothekerin, hat die Botanikerin eine besondere Beziehung zur Pflanzenwelt und sieht sie anders. Neben Margarete Rhades pflegen heute auch andere Künstlerinnen und Künstler den floralen Scherenschnitt. In „Schnittspuren“, dem Katalog der 2. Ausstellung des Dtsch. Scherenschnittvereins in Holzminden 2000, sind 12 der 67 Künstlerinnen mit einem repräsentativen floralen Scherenschnitt vertreten. In der Gärtnerzeitschrift „Grüner Anzeiger“ veröffentlicht Margarete Rhades regelmäßig florale Scherenschnitte. Mehr noch, das Buch „Lichter Mond zieht seine Bahn“ von Dorothea Wittek (1997) hat sie mit Blumen-Scherenschnitten illustriert.
Man wird Margarete Rhades nicht gerecht, wenn man sie als alleinige Künstlerin von Pflanzen-Scherenschnitten ansieht. Sie hat auch andere Motive geschnitten, freilich wenig Figürliches geschaffen, gleichwohl Reiseindrücke zu Scherenschnitten verarbeitet. In Dalmatien dienten z.B. Venezianische Löwen in Korcula als Motiv. Neuerdings entstehen auch Exlibris-Scherenschnitte. Margarete Rhades gehört zu den glücklichen Naturen, die ihren Beruf mit einer Liebhaberei verbinden und, bedingt durch ihr Pflanzen-Studium, ihre Scherenschnitte mit besonderer Innerlichkeit und einem Können gestaltet, das Bewunderung verdient.
Literaturverzeichnis:
Beckmann, Johanna: Die Meisterin des Scherenschnitts, Friedland 2000 Pflanzenleben. Stiftungsverlag Potsdam 1923
Brockmann, Dorothea: Blumen in Scherenschnitten. München, Kögel. 1953 Scherenschnitte, Kinderbücher. Gebrauchsgraphik. Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden, 1999
Cracknell, Lotte: Kleine Welt am Wegesrand, Scherenschnitte und Text, Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg o.J. (wohl um 1930)
Hallbach-Keup, Gisela: Blumen – Gräser – Früchte in Scherenschnitten, F. Hirthammer, München 1973
Seeliger, Matthias (Hrsg.): Schnittspuren. 2: Gemeinschaftsausstellung des Deutschen Scherenschnittvereins, Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2000
Weber, Christa und Claus: Schwarze Kunst im Buch. Katalog, Brockmann & Klett, Cadolzburg 1994
Wittek, Dorothea: Lichter Mond zieht seine Bahn, mit Scherenschnitten von Margarete Rhades, Fouque. Egelsbach 1997 (vergr.)
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Hans Helmut Jansen, 64285 Darmstadt. Brüder Knauss Str. 82
Neueste Kommentare