Gartenhof, Martha
* 27.03.1918 in Nürnberg
? 07.03.1944 in Goslar
Autor(in) Ursula Kirchner
aus: Vereinszeitung SAW 25
Sie kam am 27. März 1918 zur Welt. Wäre ihr ein langes Leben beschieden gewesen, sie könnte heute noch unter uns sein. Da sie aber seit 60 Jahren tot ist, gehört sie zu den „historischen Künstlern“. „Der Bogen ihres früh vollendeten Daseins spannt sich von Krieg zu Krieg,“ heißt es in dem schmalen Büchlein, das ich von ihr gefunden habe.
In Wasserburg am Inn erlebte sie eine heitere Kindheit. 1931 übersiedelte die Familie nach Würzburg. So wurde ihr Geist durch den altbayrischen Barock und das edle Rokoko Würzburgs geprägt. Aber auch die Heftigkeit des expressionistischen Gefühlsausdrucks machte tiefen Eindruck auf sie. Trotz allen diesen Einflüssen hat sie in ihren künstlerischen Versuchen eine ganz eigene Formsprache gefunden. Sie entwickelte eine Vorliebe für fernöstliche, vor allem japanische und javanische Kunst. Man spürt das deutlich bei manchen ihrer phantastisch-grotesken Scherenschnitte.
Es waren ihr in den Vorkriegsjahren ein paar Reisen durch Deutschland, Österreich, Jugoslawien und Italien vergönnt, die sicher ihre künstlerische Neigung förderten.
Trotzdem hat sie sich nach dem Gymnasium entschlossen, in Würzburg und später in München Medizin zu studieren. Schon 1942 promovierte sie und wurde Assistenzärztin in Homburg und später in einem Krankenhaus in Goslar. Zwei Jahre dauerte diese Zeit anstrengender Arbeit und seelischer Erschütterungen. Am 7. März 1944 starb sie. Wir wissen nicht woran.
Wo ihre Scherenschnitte hingekommen sind, ist nicht bekannt. Aber ein dünnes Bändlein mit 30 Abbildungen ist uns geblieben. Es zeugt von einer großen Fantasie und Gestaltungskraft. Ihre bevorzugten Themen sind verschleierte weibliche Figuren, stark stilisierte Vögel und Blumen, Landschaften mit Frauen, z. B. Wasserträgerinnen, und groteske Tänzerinnen. Es sind Mädchenträume, die während der Schulzeit entstanden sind. Während des strengen Studiums und der harten Krankenhauszeit wird ihr wohl keine Muße für Scherenschnitte mehr geblieben sein.
Die Scherenschnitte
Feierlicher Tanz
Das Bild ist symmetrisch, mit unsymmetrischem Binnenschnitt. Die weibliche Figur, die ein weites, mit Ornamenten versehenes Gewand trägt, sieht auf den ersten Blick wie eine Vase aus, aus der sich der Kopfschmuck der Tänzerin wie eine Blüte entfaltet. Zu ihren beiden Seiten stehen zwei pfauenartige Gebilde, die Hälse mit Kopf werden zu Blättern und langgebogene Blumenstiele mit Blüten wachsen aus den Hälsen und rahmen die Tänzerin ein.
Der Pfau
Er verblüfft durch seine Einfachheit und Großzügigkeit. Martha bemüht sich nicht, durch minutiöse Scherenschnittechnik Eindruck zu machen. Ihr kommt es auf den Ausdruck und auf die Geschlossenheit der Figur an. Aber sie erfindet eine originelle Struktur für das Rad des Pfaus. Merkwürdigerweise wachsen aus dem Hals des Pfaus zwei gebogene Federn, die parallel zu dem Bogen, auf dem der Pfau steht, angeordnet sind. Sie vollenden das Gleichgewicht der Figur.
Groteskes Tanzpaar
Dieser Schnitt zeigt, daß Martha der Sinn für Humor und für Absurdes nicht fremd gewesen ist. Völlig selbstvergessen tanzen die Tänzerinnen mit sich selbst, dem Baum, den Blättern, den Blüten. Die stilisierten Gestalten zeugen davon, daß die Künstlerin die Bewegungen des menschlichen Körpers gut verstanden hat.
Exotische Landschaft
Das Bild vereinigt sehr viele Elemente. Es könnte unter dem Eindruck der Italienreise entstanden sein. Da ist eine bergige Landschaft, ein See mit Fischerboot und Netz, eine große Blume am linken Rand und viele Pflanzen am Seeufer, das sich hinüberzieht zu einer großen Frau unter einer Palme. Die senkrechten Gestalten der Frau und der Palme korrespondieren mit den horizontalen Linien des Bootes, des Netzes und des Ufers. Die strukturierte Landschaft im Hintergrund ruft die Illusion der Perspektive hervor, ohne perspektivisch zu sein, denn die Strukturen der Felder und Berge verjüngen sich nicht. Dies ist ein gutes Beispiel, wie man Landschaft im Scherenschnitt darstellen kann.
Martha Gartenhof ahmte die Natur nicht nach: sie erschuf sie neu und erweckte so eine eigene Welt voller Leben und Fantasie.
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