Acht, Rene
* 24.03.1920 in Basel
? 03.05.1998 in Freiburg
Autor(in) Dr. Claudia Gross-Roath
Vereinszeitung SAW Nr. 27
Ein Kreis gefüllt mit schwarzen und weißen Streifen. Die weißen Striche erscheinen uns schmaler als die schwarzen. Oder handelt es sich um einen schwarzen Kreis und schwarze Linien vor einem weißen Hintergrund? Die Gleichberechtigung von positiver und negativer Form erlaubt die Begrifflichkeit des Zwischenraumes eigentlich nicht, da es sich bei beiden um gestalteten Raum handelt. Die Gleichwertigkeit von Form und Umraum, bzw. Gegenform, wurzelt in der östlichen Philosophie, von der René Acht stark beeindruckt war. In dem Beispiel „Auswüchse“ von 1982 wird die Regelmäßigkeit aus schwarzen und weißen Linien in der rechten oberen Ecke aufgehoben. Dort brechen fünf schwarze Streifen ab, bevor sie die Kreisform erreichen. Dieselben fünf wachsen aus dem Äußeren der Kreisform wieder hervor.
Das nebenstehende „Bindung im Kreis III“ entstand vier Jahre zuvor. Hier wird die Gleichförmigkeit aufgehoben, indem drei schwarze Streifen am rechten Kreisrand durchtrennt und mit einer Kordel zusammen gezurrt an die Kreisform gebunden worden sind. Rechts unten im Bild befindet sich das Signet des Künstlers, ein japanischer Stempel – wie man ihn dort anstatt einer handschriftlichen Unterschrift verwendet.
René Acht beschränkte sich in seinen Scherenschnitten fast ausschließlich auf die Grundformen Quadrat, Kreis und Dreieck. „Ihm sind diese Formen zugleich Inhalte im Sinne ältester Überlieferung: Das Quadrat und Rechteck als das Festgefügte, der Erde Verbundene; der Kreis als das Kosmische, Umfassende, Vollendete; das Dreieck als das Treibende, Stoßende, Bewegung Verursachende, im Sonderfall auch Balancierende.“ Die Formen beinhalteten für ihn verschiedene Stimmungen und Situationen und zeigen neben Harmonie auch immer wieder Störungen2 der Einheit, z.B. die oben beschriebenen Unterbrechungen oder Verschnürungen. Acht verstand dies als Darstellungen eines Konfliktes im Inneren der „Figur Haus“. Sie hat für ihn in seinem Werk zentrale Bedeutung und ist bereits entwickelt, bevor der Künstler sich dem Scherenschnitt zuwendete. Mit dem Haus an sich hat seine Darstellung in erster Linie weniger zu tun. Sie befassen sich eher mit den Gefühlen, die man mit seinem Heim verbindet: mit Geborgenheit, Häuslichkeit oder Unfrieden im eigenen Haus. Über das Verständnis als Behausung hinaus, wird der Körper des Menschen mit der „Figur Haus“ gleichgesetzt. Man ist geneigt, von Beseeltheit der Figur zu sprechen.
In den beiden oben abgebildeten Kunstwerken zeigt Acht, dass selbst die dem Kreis innewohnende Idee der Vollkommenheit gestört werden kann. Im Verständnis des Zen-Buddhismus steht der Kreis für die menschliche Vollkommenheit, also für die Erleuchtung. Hat Acht mit seinen Darstellungen, die alle eine Störung aufweisen, bewusst gezeigt, dass die wenigsten von uns die Erleuchtung erlangen? In der Kunst ist die formale Umsetzung ebenso wichtig wie die Vermittlung der inhaltlichen Idee. Die Gleichbehandlung von Form und Umraum mag dem Verständnis von Ying und Yang entsprechen, sie ist jedoch auch eine wichtige Frage der Komposition und spielt gerade bei der Beschränkung auf schwarz-weiße Kunst eine große Rolle. Ein weiterer formaler Aspekt, mit dem sich Acht in vielen seiner Werke auseinandersetzte, ist das Zusammenspiel von Einheitlichkeit und Abwechslung, das dem Bild erst die Spannung verleiht. Erst das formale Ausbrechen aus dem Gleichmaß von Linienbreite und -abstand, indem z.B. drei schwarze Streifen mit einer Kordel zusammengebunden werden, macht das Bild interessant. Auch die Tuschefederzeichnungen aus den 50er Jahren, auf denen der gleichmäßige Rhythmus vieler Striche durch eine Linienspitze, eine Ellipse oder die Länge einer einzelnen Linie unterbrochen wird, sprechen dafür, dass es Acht um kompositionelle Strukturen wie Reihung und Rhythmus gegangen ist.
Tatsächlich befasste sich René Acht technikübergreifend in Ölmalerei, Linolschnitt, Tuschezeichnungen und Scherenschnitt von Tachismus bis zur konkreten Kunst immer mit den gleichen Themen.
René Achts Beschäftigung mit dem Scherenschnitt begann 1966. Er schrieb: Es „entstehen dann zur ‚Sublimierung meines Formempfindens‘ und als Exerzitien gedacht die ersten Scherenschnitte, die ab 1967 einen immer breiteren Raum einnehmen in meinem Schaffen.“ Nach einem kleinformatigen Entwurf folgte die Umsetzung in das großformatige Werk mit einer seitenverkehrten Zeichnung auf schwarzem Photokarton (100 x 70 cm), wobei er kein Lineal oder andere Hilfsmittel verwendete. Für größere Arbeiten verwendete er Schwarzpapier von der Rolle. Die Form schnitt er mit einer einfachen, mittelgroßen Schere in ihrer Gesamtheit an einem Stück, was er als „körperliches Einverleiben der Form“ verstand und als sehr anstrengend beschrieb. In den siebziger Jahren bezog er andere Materialien wie Wolle, knittriges Seidenpapier, Glanzfolie und Fäden mit ein.
Hofstätter betrachtet den Einsatz des Bindfadens als Versuch des Zusammenbindens abbrechender oder abgerissener Bildteile gleich einer Heilung, die aber nicht glückt. Wenn gleich man bei „Bindung im Kreis III“ davon sprechen kann, dass sich die Form scheinbar gegen das Einschnüren durch den Faden wehrt, so gelingt die Bindung im Falle des „Eingebundenen Quadrates“ (1976): das Quadrat wird hier mittels der Fäden im Kreis zentriert gehalten. Nur scheinbar aber wird es dort gehalten, denn tatsächlich sind die Fäden nicht notwendig, um den Zusammenhalt mehrerer aufgeklebter Bildteile zu gewährleisten. Durch das Hinzufügen von knittrigem Seidenpapier oder Schnüren wird das Kunstwerk jedoch von einem zweidimensionalen in ein dreidimensionales Objekt verwandelt. Dass dies bewusst geschieht, zeigen die Faltungen, die Acht an Scherenschnitten vornahm. Die schwarzen horizontalen Streifen an „Verschnürung III“ (1975) z.B. sind umgefaltete Pappestücke. In diesem Falle entstehen also die weißen Streifen nicht durch Wegschneiden sondern durch Wegklappen.
René Acht wurde 1920 in Basel geboren. Er studierte dort Malerei und Bildhauerei an der Kunst- und Gewerbeschule. Im Verlaufe seines Lebens erhielt er sieben verschiedene Stipendien; das erste ist 1941-43 ein Privatstipendium eines Kunsthändlers – das letzte ist 1960 sein drittes schweizerisches Bundesstipendium. Ab 1951 unterrichtete er an der Clubschule Migros Malerei. Zwölf Jahre später wurde er als Gastdozent an die Staatliche Hochschule für bildende Künste in Hamburg berufen. Anschließend war er für anderthalb Jahre Leiter der Malklasse der Kunst- und Gewerbeschule in Basel. Von 1972 bis zu seinem Tode, 1998, lebte er abwechselnd in Freiburg i.Br. und in Vaudrémont, Champagne.
Seit 1947 stellte Acht regelmäßig in Galerien in Europa aus. Vier Jahre danach begann seine Ausstellungs-tätigkeit in verschiedenen europäischen Museen in Gruppenausstellungen. 1959 zeigte er Werke bei der Documenta II in Kassel und bei der Fünften Biennale in Sao Paolo. 1962 gewann er eine Silbermedaille des „Schweizerischen Preises für abstrakte Malerei“ in Lausanne. Jüngst waren seine Scherenschnitte in Düren und Mannheim zu sehen.
René Acht machte sich die Reduktion des Scherenschnittes zu Nutze. Anstatt aber den bis heute vorherrschenden figurativ erzählerischen Weg zu verfolgen, sah er die Vorteile der Technik in ihrer Abstraktheit. Obgleich die Begrifflichkeit und manche frühe Darstellung der „Figur Haus“ dazu verführt, Geschichten in die Bilder hineinzulesen, ist die Beschränkung des Künstlers auf die Grundformen sein eindeutiges Bekenntnis an die konkrete Kunst. Als konkret bezeichnet man jene abstrakte Kunst, „in der ein bildnerisches Element nur sich selbst bedeutet, einfach und visuell kontrollierbar und in einer exakten Technik gestaltet.“ Die Schweiz spielte für diese Stilrichtung eine besondere Rolle, denn bereits 1944 fand in Basel, Achts Heimatstadt, dank Max Bill die erste internationale Ausstellung „Konkrete Kunst“ statt. Zu diesem Zeitpunkt war die Malerei Achts expressiv und in dunklen Farben gehalten. Knapp 40 Jahre später war Acht wie sein Landsmann ganz und gar dem Konkreten verpflichtet: 1981 zergliederte er in „Innere Kreis-Auflösung“ die schwarze Kreisform in fünf gleiche Stränge. Das obere Fünftel bleibt stehen und schließt die Kreisform. Nach und nach löst sich ein Strang nach dem anderen, biegt oder schlängelt sich ins Kreisinnere, so dass der Betrachter den Eindruck des Ausfransens erhält.
Auch bei „Kreis-Verformung II“ (1977) ging der Künstler von einem breiten schwarzen Kreis aus. Dieser zerteilt sich nicht, sondern verformt sich ganz so, als ob er sich verflüssigen würde. Den Abschluss der Verflüssigung bildet ein fast kugelförmiger Tropfen, der direkt an das andere, eckige Ende des Kreises anschließt. Da diese verflüssigte Verformung auf der rechten Seite des Kreises einsetzt und der schwarze Tropfen nach oben läuft, hat der Betrachter die Assoziation einer zähen Flüssigkeit.
Arbeiten in öffentlichen und privaten Sammlungen:Kunsthaus Zürich, Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett Basel, Modernes Museum Wien, Kunstmuseum Lausanne, Musée d’art Nantes, Modern Art
Museum New York, Sammlung Ströher Darmstadt, Thompson Collection Pittsburgh, Alix de Rothschild Collection Paris, R.Beny Collection Toronto, M.Arp-Hagenbach Sammlung, Landesmuseum Oldenburg, Museum Osnabrück u.a.
Ausgewählte Literatur:
Galerie AK Aktuelle Kunst: Ölbilder – Scherenschnitte – Plastik. Frankfurt 16.2.-13.4.1975Van der Grinten, Franz Joseph: René Acht und der Scherenschnitt. In: René Acht Scherenschnitte 1968-1983. Museum Nijmwegen (anschließend: Leopold-Hoesch-Museum, Düren; Kunstverein, Ulm) 4.6.-10.7.1983. S.6-12Herda, Isabel: Schwarz auf weiß. Zu den Scherenschnitten von René Acht. In: René Acht. Scherenschnitte 1968-1998. Museum für Neue Kunst Freiburg (anschließend: Leopold-Hoesch-Museum, Düren; Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen) 29.5-20.7.2003. o.S.Hofmann, Dieter: Über den Weg zur „Figur Haus“. In: René Acht. Weg zur Figur Haus. Graphik-Auswahl 1939-1969 Zeichnungen Scherenschnitte. Galerie Regio, Lörrach 1969. o.S.Hofstätter, Hans: René Acht. Werk-Monographie. In: René Acht. Monographie und Werkverzeichnis. Augustinermuseum in der Städt. Galerie Schwarzes Kloster (anschließend: Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen) 31.10.-30.11.1980. S.3-177Thomas, Karin: DuMont’s kleines Sachwörterbuch zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Köln 19771 Höfstätter S. 44-45
Neueste Kommentare