Gertrud Berta Richter

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Geb:   9.03.1911 in Judenburg
Gest:  4.07.2003

Autor(in) Ingrid Englert-Fally
Erschienen in SAW 12

Gertrud („Trude”) Berta Richter, geborene Grafenauer, kam am 9. März 1911 in Judenburg / Steiermark zur Welt und lebt seit 1948 in Salzburg. Sie besuchte die Volksschule in Judenburg, die Mittelschule in Klagenfurt und machte mit 16 Jahren Abitur. Sie besuchte dann die Lehrer­innenbildungsanstalt in Klagenfurt, die Kunst­gewerbeschule in Graz und studierte an der Universität Graz Geschichte und Volkskunde.

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Ihre Berufslaufbahn begann sie als Volks- und Mittelschullehrerin an verschiedenen Orten in der Steiermark. In den Volksschulen war am Donnerstag schulfrei, und so fuhr sie einmal in der Woche nach Leoben, um am Gymnasium die Jugendkunstklasse (Zeichnen, Museumskunde usw.) zu unterrichten. Trude Richter zeichnete von Kindheit an und hat mit ihrem Vater auch nach der Natur gemalt. Bereits 1921 kam sie auf den Scherenschnitt, der vor und nach dem ersten Weltkrieg wieder modern wurde. Schon im Volksschulalter also von dieser Kunst fasziniert, hat sie immer geschnitten, gezeichnet, skizziert und auch aquarelliert (nicht im Stil der alten Aquarellisten). Sie ist mehr handwerklich, ihre Schwester Edith mehr bildnerisch orientiert.

Es wurde alles, was einer „Verzierung” bedurfte, mit Scherenschnitten illustriert, wie Kinder­bücher, Lieder- und Schulbücher und Tischkarten (an die 500 Stück mindestens). Es gab Sche­renschnitte zu allen Anlässen, viele Scheren­schnittporträts, Gelegenheitsarbeiten, die meist verschenkt wurden, nur hin und wieder wurden sie auch verkauft. Die Freizeit wurde immer dem Scherenschneiden gewidmet.

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Bis 1937 war Trude Grafenauer als Lehrerin tätig, dann heiratete sie in der evangelischen Kirche in Judenburg den Salzburger Arzt Dr. Hans Richter (geb. 1911 in Wien). Anschließend gingen beide nach Innsbruck, wo sie in den ersten Kriegsjahren an der Lehrerinnenbildungsanstalt kriegsdienstverpflichtet war. Hier hatte sie eine Sammlung der von ihr illustrierten Bücher und von Scheren­schnitten angelegt. Leider ist alles durch Bomben­schäden verloren gegangen. 1941 kam ihr erstes Kind, eine Tochter, zur Welt. 1943 hat Trude R. Inns­bruck den Rücken gekehrt und ist nach Juden­burg bzw. auf die Grafenauer Schihütte in den Seetaler Alpen in 1400 m Seehöhe geflohen. Das zweite Kind, ein Sohn, wurde 1943 in Bruck an der Mur geboren. In der Zeit auf der Hütte war reichlich Muße zum Scherenschneiden, viele Bauern­kinder wurden als Porträt geschnitten, und damit konnten Butter, Milch, Eier eingetauscht werden. Weihnachten 1945 ist ihr Mann aus der Gefangenschaft auf die Hütte gekommen. Bei Kriegsende hatte sie keine Nachricht über den Verbleib ihres Mannes, der erst ein halbes Jahr später via Norwegen und Deutschland zurück nach Österreich kam. Er war in englischer Kriegsgefangenschaft als Arzt und Pharmakologe tätig gewesen. Er wurde dann Arzt am Bezirkskrankenhaus und später an der Klinik in Graz. Man lebte weiter auf der Hütte, erst Weih­nachten 1948 war der Umzug nach Salzburg in das bombengeschädigte Haus der Familie des Mannes möglich.

Und immer wieder Scherenschnitte, niemals hat Trude R. fotografiert. Immer wieder Skizzen in überall sie begleitende Zeichenblocks und Scheren­schnitte nach diesen Skizzen. Viele Aus­stellungen, u. a. in Graz im Joanneum. Ein Zitat des Schwiegervaters: „Wenn du kochst, bekomme ich Anfälle, mache lieber Scherenschnitte.” – Einwand von Trude R.: „Ich koche aber sehr gut.” Auch in Salzburg konnten mit Klein­kinder­scheren­schnitten Lebensmittel eingetauscht werden. In der Praxis der Schwie­gereltern wurde ein Labor eröffnet, durch die Ausbildung in Innsbruck war ein Einstieg sofort möglich. Beruf, Haus, zwei Kinder und Familie bzw. andere Familien­mit­glie­der nahmen T. R. voll in Anspruch, trotzdem gelang es ihr, Zeit zum Schneiden zu finden. Immer wieder wurden für die Laborfeste Tisch­karten mit Scherenschnitten oder Feder­zeich­nungen gemacht, noch 1996 hat sie 45 Tisch­karten für das Weihnachtsfest im Labor geschnitten.

richter trudeTrude Richter hat Schnitte nie serienmäßig angefertigt, man kann sagen, daß alle Schnitte Unikate sind. Es existiert kein Werk­verzeichnis, sie hatte das Scherenschneiden als ihr Hobby betrachtet und wollte nicht als „Künstlerin” betitelt werden oder sonst im Vordergrund stehen.

Die Entwicklung von den kindlichen bis zu den heutigen, stark abstrahierten Motiven ist kontinuierlich, wobei von Anfang an das ausgeprägte zeichnerische Talent erkennbar ist. Die Schnitte sind großteils in schwarz-weiß, T. R. hat aber auch sehr schöne farbige Arbeiten gemacht, für die sie unterschiedlichste Papiere verwendete. Begeisternd sind die Ex­perimentierfreude und der Ideenreichtum auch heute noch, was aus einem sehr regen Geist entspringt. Charakteristisch ist die Darstellung der Personen. Der strenge Blick auf ein modernes Gebäude ist durch einen auf einer Kante sitzenden Vogel gelockert, es spielen auch phantasievolle, modern gezeichnete Tiere immer wieder eine große Rolle. Hat T. R. eine schöne Rose oder einen Veilchenstrauß geschenkt bekommen, dann wird dies zu Papier gebracht, und in vielen Bildern sind immer wieder ihre Vasen erkennbar. Humor und Ironie kam mehr bei den Tischkarten zum Tragen, sind aber auch in der Zeichnung der Scherenschnitte auf sehr sensible Weise erkennbar.

Die Freude, die Trude Richters Scherenschnitte auch heute noch vermitteln, ist nicht zu messen und nicht erfaßbar, aber ein Gradmesser ihres Sinnes für das Feine in der Kunst.

Was sagt nun Trude Richter selbst? „Die Kunst ‚Scherenschneiden‘ ist abhängig vom Erkennen der Umwelt und deren Vereinfachung zu allen Tönen von schwarz zu weiß oder auch von vielfarbiger Umwelt zu ein paar Farben. Ich war oft lange Zeit überhaupt nicht kreativ. Dann haben mich ein paar Motive gepackt, und ich habe viel geschnitten – aus Zeitmangel meist in der Nacht. Ich mußte mit dieser Nebenbeschäftigung nichts verdienen, wenn ich doch etwas verdient habe, hat es mich gefreut! Natürlich ist viel von mir ausgestellt worden. Aber lange habe ich nie etwas behalten. Es bestehen zwar ganze Sammlungen in Privatbesitz, aber selbst habe ich nur ganz wenige Scherenschnitte aufgehoben.

vsZum Papier: Feines, aber doch festes schwarzes Papier hat man nicht bekommen, so habe ich schon sehr jung das schwarze Papier verwendet, in das Filme, Röntgenfilme usw. eingewickelt waren. Auf beiden Seiten schwarz. Später hat man dann wieder Papier mit weißer Abseite bekommen. Vorgezeichnet habe ich nie, ich hätte das nicht schneiden können. Mein Werkzeug ist eine feine Hautschere, und zum Aufkleben brauche ich eine kleine Pinzette. Wenn man etwas durchschneidet, entsteht ein Loch, und man muß noch einmal anfangen. Vergessen darf man nicht, daß das Schneiden ein Handwerk ist, und ich habe es ein Leben lang geübt, deshalb kann ich es eben.“

Schon in einem Scherenschnitt der Zehnjährigen deutet sich die Neigung zu ungewöhnlichen Bildausschnitten an. Ein thematisch konventionelles Blatt von 1935  zeigt eine vom Üblichen stark abweichende Umgrenzung und eine sehr eigenständige Stilisierung der Pflanzenwelt – Merkmale, die weiterhin beibehalten werden. Ein etwas später (1937) datierter Schnitt wirkt, sieht man von der „Staffage” einmal ab, schon ausgesprochen „modern”: schäumende Wellen, Boot und Fisch sind mit einfachsten Mitteln sichtbar gemacht. – In den letzten 15 Jahren sind zahlreiche Ansichten aus dem Stadtgebiet von Salzburg entstanden, z. T. unter (sparsamer) Verwendung von Farbpapieren. Das beeindruckende Blatt „Blick auf den Untersberg” ist ein Beleg dafür, daß die Scherenschneiderin nun ihre eigene, unverwechselbare Handschrift gefunden hat: unbekümmertes Hineinschneiden in das Papier (wohlgemerkt: stets ohne jede Vorzeichnung!); eine Handschrift, die zumal in den vielen Bildern von Salzburgs Kirchen, Brunnen und Denk­mälern sichtbar wird, aber auch in der Darstellung von alltäglichen Dingen, wie z. B. einer mit Blumen gefüllten Vase.

Vom Scherenschnitt strenger Observanz hat sich Trude Richter weit entfernt, wird der oder jener finden. Mag sein. Aber dafür braucht sie den Vergleich mit so mancher Graphik der klassischen Moderne nicht zu scheuen.

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