Autor/in Maria Hartlaub
Das Künstlerpaar lebt seit vielen Jahren in London, Hampstead. In London lernten Hanne und Jack Yates sich auch 1951 kennen. Ihr gemeinsames Leben war von Anfang an geprägt und miteinander verschlungen durch kreative künstlerische Ideen und Interessen die nicht nur die bildende Kunst, sondern auch die Literatur betrafen. Jack Yates ist 1923 in Sheffield im Norden Englands geboren und aufgewachsen. In seiner Familie gab es keine Künstler und kein besonderes Interesse an Kunst. Aber als seine Eltern seine Begabung entdeckten, versuchten sie ihn zu fördern so gut sie konnten. Als junger Soldat war er im Krieg an der Invasion in der Normandie beteiligt. In der Nachkriegszeit hatte er Gelegenheit, Zeichenkurse zu belegen, die von der Armee eingerichtet worden waren und konnte 1948 schließlich für ein Jahr am Sheffield College of Arts & Crafts studieren. 1950 siedelte er nach London über, verdiente dort mit verschiedenen Jobs seinen Lebensunterhalt, unter anderem in einer Buchhandlung, wo er schnell zum Spezialisten in der Kunstbuch-Abteilung wurde. Seine Lust und Besessenheit an der Kunst ließen nicht nach. Jack zeichnete bei jeder Gelegenheit, wenn immer er etwas sah, das ihn faszinierte. Meistens waren es Figuren in einfachen klaren Linien. Abends besuchte er eine Kunstschule, wo er unter professioneller Anleitung zeichnen konnte und wo er 1951 Hanne Richter traf. Die hatte dem Nachkriegsdeutschland den Rücken gekehrt und war aus Neugier auf andere Länder und andere Menschen nach England gekommen.
Hanne(lore) Richter ist 1924 in Müllheim in Baden geboren und in Frankfurt/Main aufgewachsen. Sie wurde als Kindergärtnerin ausgebildet und arbeitete während des Krieges in ihrem Beruf, danach half sie beim Aufbau einer Leihbücherei (gereinigt von nationalsozialistisch geprägter Literatur) in Oberursel und arbeitete als Bibliothekarin. HanneYates erinnert sich: „ich bin mit großem Interesse an der Kunst aufgewachsen. Mein Großvater Adolf Loeffler (1825- 1898) war Maler und Mitglied der bekannten Kronberger Malerkolonie. Seine Bilder betrachteten mich und ich sie jeden Tag, denn sie hingen an den Wänden in meinem Elternhaus. Besonders liebte ich alle Schwarz-Weiß-Kunst. Als Kind hatte ich ein Bilderbuch mit Scherenschnitten, das ich besonders gern mochte und immer wieder betrachtete. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, kam eines Tages ein verarmter Künstler oder Hausierer an unsere Haustür und zeigte seine Scherenschnitte. Meine Mutter muss gespürt haben, wie fasziniert ich war, denn sie tat etwas Unerhörtes und für sie total Uncharakteristisches: Sie kaufte dem Mann einen Scherenschnitt ab und schenkte ihn mir, ein gerahmtes Bild! Und das so ganz spontan, mitten im Jahr und ohne jeglichen Anlass! Ich hatte jahrelang viel Freude daran.
In der Schule hatte ich wohl die ersten simplen Schnitte hergestellt. Es machte mir Spaß und ich übte mich zuhause weiter. Ich dekorierte Briefe, Karten und Papierservietten; ich machte anderen Freude damit und das spornte mich an. Als 14-Jährige entdeckte ich Masereel. Ich verliebte mich in seine Holzschnitte und betrachtete sie immer und immer wieder. Später, in der Ausbildung als Kindergärtnerin wurde ich wieder angeregt, selbst Papierschnitte herzustellen. Als wir 1953 für drei Jahre nach Wales gingen und in einem winzigen Dorf lebten, machte Jack – angeregt von den Expressionisten – viele Holzschnitte, die durch ihre grobe, rohe Art eine viel stärkere Kraft haben als die feineren englischen Holzstiche von Bewick oder William Blake. Weil bald kein geeignetes Holz mehr vorhanden war, begann Jack durch meine Anregung aus Papier zu schneiden. Allmählich verfeinerte er diese Kunst, die er nach genauen Vorzeichnungen mit dem Messer ausübt, während ich meistens mit einer Nagelschere und mit Faltschnitt arbeite. Ich fange nur mit einer vagen Idee an und entwickle diese während des Schneidens weiter. Wir unterrichteten beide viele Jahre lang als Dozenten am Camden Arts Centre in London. Jack arbeitete mit erwachsenen Studenten, während ich für Kinder Kurse am Wochenende oder in den Ferien anbot. ich machte mit den Kindern häufig Schattenfiguren, die ja mit Scheren-schnitten verwandt sind.“
Für Jack war die Verbindung mit Hanne auch künstlerisch bedeutsam: „1948 als Kunstschüler wusste ich sehr viel über moderne französische Kunst, aber nichts, überhaupt nichts über moderne deutsche Kunst. Erst als ich meine Frau Hanne kennen lernte, erfuhr ich von den aufregenden Künstlergruppen „Die Brücke“, „der Blaue Reiter“, die Rheinischen Expressionisten, die Berliner Sezession, das Bauhaus und die „Neue Sachlichkeit“. Etwas später hatte ich das Glück, Oskar Kokoschka zu treffen, der mich in meiner künstlerischen Arbeit ermutigte und unterstützte sowie John Heartfield und die wunderbare Silhouttenschneiderin und Schattenfilmkünstlerin Lotte Reiniger. Diese vier übten einen starken Einfluss auf meine eigene Kunst aus“. Jack Yates, Flyer zur Ausstellung „Works on Paper“ 1995 in Mannheim, MC 2 art)
1986 begann Jack an einem Fries „Bilder aus meinem Leben“ zu arbeiten. Jedes einzelne Blatt hat die Größe von DIN A3. In über 20 Jahren ist der Fries zu 100 Blättern angewachsen. Viele davon wurden verschiedentlich ausgestellt, aber leider noch nie der gesamte Fries. Auch in Deutschland gab es eine Ausstellung mit einigen Bildern aus dem Fries. Das war 1995 in Mannheim. In seinem Unterricht am Arts Centre vermittelte Jack Collage-Techniken, darunter auch Papierschnitt. 1976 veröffentlichte das Ehepaar Yates ein Buch über Collage, das sogar ins Deutsche übersetzt wurde. Es erschien 1981 im Verlag Otto Maier Ravensburg.
Von 1995 bis zum vorigen Jahr gaben sie eine kleine Zeitschrift heraus: FRAGMENTS ist eine 40-seitige Broschüre mit grafischer Kunst und Gedichten, die circa 3-mal jährlich erschienen ist. Viele, vorwiegend zeitgenössische Künstler, haben sich daran beteiligt. Eines Tages bekamen sie einen Brief von Lotte Reiniger die ihre Schnitte in diesem Magazin gesehen hatte. Sie interes-sierte sich für ihre Arbeiten und lud sie in ihr Studio ein. Den denkwürdigen und vergnügten Nachmittag mit dieser originellen und liebenswerten Künstlerin haben sie in guter Erinnerung. Lotte Reiniger zeigte ihnen ihre Schattenfiguren, gab eine kleine Theatervorführung und beschenkte sie mit einer spontan ausgeschnittenen Scherenschnittfigur.
Hier in England ist der Scherenschnitt fast unbekannt, aber allmählich scheint sich ein Interesse dafür zu entwickeln. Vor zwei Jahren sahen sie eine Ausstellung in Brighton, in der Arbeiten verschiedener Künstler in der Technik des „paper cut“ in dreidimensionalen Formen, als Papierschnitte und Schattenfiguren gezeigt wurden.
Neueste Kommentare