Walther Luise geb. von Breitschwert

Walther Luise geb. von Breitschwert

* 10.01.1833 breitschwertportrt
? 04.08.1917
Autor(in) Otto Kirchner
aus Vereinszeitung SAW 24

signatur

Luise Walther lebte von 1833 bis 1917. Wie den meisten Frauen wurde auch ihr, trotz der offensichtlichen Begabung, die künstlerische Ausbildung versagt. Erlaubt war die Arbeit mit der Schere, und so wurde Luise Walther eine der fruchtbarsten Scherenschneiderinnen des 19. Jh. Niemand hat so viele Porträt-Silhouetten geschnitten, außer vielleicht August Edouard.
Luise Walther hat sich öfters selber geschnitten. Das Selbstporträt von 1872 zeigt eine lebendige junge Frau mit einer etwas fürwitzigen Nase.

Mörike hat diese Nase angedichtet:001
Ich widme dir mit diesem Glase               
Einen bescheidnen Hochzeitsstrauss-
Nicht dir! Nein, jener schwer von dir gekränkten Nase,
Die ich im stillen längst verehrt,
Eh sich Herrn Walthers Herz derselben zugekehrt.1)

Zu diesem Gedicht gibt es folgende Anmerkung: „Sie karikierte diesen Teil ihres Gesichts, der allerdings etwas Auffallendes hat, bei jeder Gelegenheit aufs unbarmherzigste.“ Eine bemerkenswerte und auch spitze Nase hat Luise Walther offensichtlich gehabt, aber dass sie „aufs unbarmherzigste“ von ihr karikiert wurde, will uns heute nicht mehr einleuchten. Aber wir können auch an der Silhouette sehen, dass sie eine schöne Frau gewesen ist.

Scherenschnitt und Frauenschicksal
In dem Aufsatz „Meine Silhouetten zu Mörikes Hutzelmännlein“ gibt Luise Walther folgende Auskunft: „Das Ausschneiden fing ich schon als kleines Mädchen an, der Trieb dazu muss angeboren sein, denn es fiel niemand von meinen Angehörigen ein, ihn zu wecken und zu fördern.“ 2) Es gibt sicher einen elementaren Drang zu künstlerischer Gestaltung, aber dessen Spezialisierung auf den Scherenschnitt als angeboren anzunehmen, ist zumindest fraglich.
Luise Walther beschreibt dann, wie es zum Schneiden der Porträt-Silhouetten kam: „Der Trieb zum Silhouettieren erwachte später, man gab mir begreiflicherweise nicht zu früh eine Schere in die Hand. Wie ich zehn Jahre alt war, zupfte ich einmal in der Schule mein Fliessblatt so aus, dass das scharf markierte Profil des Lehrers zum Vorschein kam.“
Trotz dieser sichtbaren Begabung und entgegen dem dringenden eigenen Wunsch wurde ihr, ebenso wie Luise Duttenhofer, die künstlerische Ausbildung verweigert. „Die Anschauungen jener Zeit über die Aufgaben eines Mädchens erlaubten das nicht“, kommentierte sie im Alter. Die Folge war leider, dass sie selber ihre Scherenschnitte als eine „häusliche Kunst“ betrachtet hat, mit der man nicht an die Öffentlichkeit tritt.

Die Porträt-Silhouetten
Porträts hat Luise Walther bei jeder Gelegenheit geschnitten: bei Besuchen, Festen, Konzerten und vor allem auch bei Basaren für wohltätige Zwecke; selbst in der Kirche hat sie zur Schere gegriffen. In wenigen Minuten habe sie ganze Tischgesellschaften festgehalten „ohne dass es bemerkt wurde, da sie die Hände scheinbar unbewegt unter dem Tisch hielt und nur von Zeit zu Zeit einen flüchtigen Blick auf ihre Handarbeit warf.“3)


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Auch wenn dieser Bericht über ihre Arbeitsweise ins Reich der Legende gehört, die vielen Tausende Silhouetten, welche Luise Walther hinterlassen hat, sprechen für eine erstaunliche Produktivität und sicher auch für ein ungewöhnliches Arbeitstempo. Allerdings folgt daraus auch die Gefahr der Routine, und für den Rezipienten geht durch die Fülle der Köpfe die Aufmerksamkeit für das einzelne Porträt verloren. Dies gilt insbesonders für Quarthefte, in die Luise Walther die Duplikate ihrer Silhouetten eingeklebt und mit Namen versehen hat.
Im Deutschen Literaturarchiv Marbach werden sieben dieser Hefte aufbewahrt 4). Bernhard Zeller bezeichnet sie als eine historische Quelle für die Kultur- und Geistesgeschichte Württembergs: „Vertieft man sich in diese seltsame Schattenwelt, so erwacht sie zum Leben, und der Betrachter glaubt sich plötzlich mitten hineinversetzt in das Leben der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.“5)

Thematische Zusammenstellungen
Neben den zeitlich geordneten Porträts in den Heften gibt es thematisch „zusammengehörige“ Anordnungen. Lehrer, Betreuerinnen und Schülerinnen des Stuttgarter Katharinenstifts wurden von Luise Walther auf ein Blatt montiert.

                     
Das Katharinenstift war eine von Königin Katharina 1833 gegründete Mädchenschule. Rektor des Stifts war Karl Wolff, der Stiefvater von Luise; durch ihn erhielt Mörike die Möglichkeit, Literaturunterricht zu geben.
Öfters hat Luise Walther schwäbische Dichterköpfe zusammengestellt. Martin Knapp zeigt in den Deutschen Schatten- und Scherenbildern ein Blatt mit 7 Dichtern.6)
Manchmal hat Luise Walther zusammengehörige Silhouetten auch nur in einen Briefumschlag gesteckt 03und gemeinsam gekennzeichnet, d. h. die einzelnen Silhouetten lassen sich nicht mehr zuordnen. Friedrich Walther berichtet, dass seine Mutter Tausende Silhouetten wegen fehlender Namen weggeworfen habe.

Die Oberflächenstruktur
Die Abbildungen zeigen normalerweise die Silhouetten als einheitlich schwarze Fläche. Die meisten Porträts sind jedoch strukturiert: sie sind mit einem Werkzeug (Schere, Nadel oder Falzbein) bearbeitet, meistens von der Rückseite. Haare, Hut und Kleidung sind mit Prägelinien versehen, die sich beim Original optisch und auch haptisch wahrnehmen lassen. Manfred Koschlig schreibt darüber: „Die meisten dieser Scherenschnitte sind genadelt, d.h. es sind Einzelheiten mit einer Nadel oder einem ähnlichen Werkzeug geprägt (Knapp sagt „modelliert“); besonders das Haar pflegte Luise so herauszuarbeiten.“7)
Mathias Michaelis, Fotograf des Deutschen Literaturarchivs, hat versucht die Prägungen mit spezieller Beleuchtung auch im Foto sichtbar zu machen.


 

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Bei früheren Abbildungen wurden manchmal die Prägelinien weiss nachgezogen; dies muss man jedoch als Verfälschung des Originals ablehnen. 8)
Heute wird, wenn überhaupt, die Strukturierung mit Binnenschnitten gemacht. Auch die Brille wird manchmal in die Silhouette hineingeschnitten; Luise Walther hat sie weggelassen.

Das Stuttgarter Hutzelmännlein
Mörike hat 1852 in Stuttgart das noch nicht veröffentlichte Hutzelmännlein vorgelesen. Karl Wolff hatte die Lesung zur Aufbesserung der Einkünfte organisiert. Luise war dabei und erklärte schon nach dem ersten Abend: „Die Leutlein stehen alle so lebendig vor mir, die muss ich ausschneiden!“ Sie erhielt vom Verleger die Druckfahnen und überraschte Mörike mit einem Bilderbuch aus 47 geschnittenen Szenen. Mörike antwortete mit den Versen: „O kleine Welt voll Leben! Kenn ich sie?…“
Knapp hat zwei dieser Szenen veröffentlicht, die „aus allen Teilen geschnitten sind.“ Es gehört aber zu den Besonderheiten der meisten Bilder, dass die Schnitte mit Federzeichnungen kombiniert sind. Die Schnitte bestehen außerdem nicht aus einem Stück, sondern sind zusammengesetzt und auch hintereinander geklebt. Bei einigen Szenen verwendet Luise Walther auch die von Luise Duttenhofer eingesetzte „Bodenperspektive“ . Man blickt in die Spinnstube wie in eine Guckkastenbühne. Die schöne Lau sitzt vorne am Boden und lacht zum ersten Mal bei dem Versuch, den Zungenbrecher „glei bei Blaubeura leit a Klötzle Blei“ aufzusagen. Das Original zeigt, dass die Frauen und die Spinnrocken getrennt ausgeschnitten und montiert worden sind.


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Bei dem zweispännigen Ochsenkarren sind die Berge im Hintergrund und das Gras vorne mit der Feder gezeichnet. Auch der hinten aufsitzende Seppe ist gezeichnet, wohl, weil er sich mit Hilfe des Krackenzahns unsichtbar gemacht hat.


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Die Illustrationen zum Hutzelmännlein wurden erst 1932 vom Schwäbischen Schillerverein veröffentlicht. 9) Auch Mörike selber hat eher an andere Illustrationen gedacht (Moritz von Schwind) als an die Scherenschnitte seiner Freundin Luise. Sie blieben ihre einzige umfangreiche Illustrationsarbeit.
Die Eltern waren von der nächtlichen Arbeit nicht erbaut, und der Vater schrieb ihr folgende Verse ins „Stammbuch“:

Ausgeschnitten hast du nun  12
G´nug, um etwas auszuruhn,
Jetzt kannst du dich erquicken
Mit Strümpf- und Sockenflicken.

 

Luise Walther ist nur einmal öffentlich „aufgetreten“: sie hat 1893 an einer Fächerausstellung des Bundes Bildender Künstlerinnen Württembergs teilgenommen. Dieser Fächer mit von Blumen eingerahmten Dichtersilhouetten gehört zu den „Erinnerungsstücken“, die 2001 in Marbach ausgestellt waren.10)

Die Mörike-Silhouetten
Mörike wurde von Luise Walther immer wieder porträtiert, so gleich am Anfang ihrer Bekanntschaft. Vergleicht man dieses Profil mit einem, das sie Jahrzehnte später geschnitten hat, so stellt man kaum Unterschiede fest. Sicher verändert sich das Profil viel weniger als das von vorne gesehene Gesicht, aber man argwöhnt doch, dass Luise ihren Mörike etwas geschönt und harmonisiert hat.
Eine dem Foto von 1864 nachgeschnittene Silhouette zeigt ein weniger harmonisches Profil.


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Mörike hat Luise so beschrieben:
Und wie sie kam, da war es Sonnenschein!
Als ob sie gar nicht weiter wollte oder wüsste,
Nur dass sie jedermann zur Freude da sein musste.
So lebte sie in klarer Gegenwart,
Neidlos bei andrer Gück, die Lachende, die Feine.

Das Selbstporträt mit Bräutigam

Luise Walther hat im Verhältnis zu den vielen Porträts wenige Ganzfiguren geschnitten. Eine Ausnahme sind die Familienszenen für einen Tisch (Titelbild von SAW 1). Besonders interessant ist das Selbstporträt mit ihrem Bräutigam. 10
Im Gegensatz zu den Porträts anderer Personen, hat sie sich selbst hier ganz schonungslos dargestellt.11) Grotesk wirkt nicht nur der Größenunterschied – angeblich war er wirklich so groß – Luise wird auch von ihrem Franz hinterhergezogen und hängt fast hilflos in der Luft. Der Schirm ist zwar riesengross, das Wasser der Traufe geht aber trotzdem auf Luise nieder. Ihre Nase freilich schaut als spitzes Dreieck in die Luft. Hier hat es Luise Walther tatsächlich gewagt, sich lustig zu machen!


Mörike spielt in seinem Hochzeitsgedicht auf diesen Scherenschnitt an:

Dass in der Regel euch der hellste Himmel lache,
Das ist uns nun schon ausgemachte Sache,
Und käme je ein kleines Ungemach,
Ein Donnerwetterchen am schönen Tage nach,
So etwas geht wohl mit in Kaufe:
Dich deckt Herrn Walthers Schirm, Herrn Walthers Regendach,
Und du gehst sicher nicht, wie damals, in der Traufe.

Die Blumenschnitte

Die Hilfsbereitschaft Luises für ihren Freund Mörike erstreckte sich auch auf die Scherenschnitte. Mörike bestellte bei ihr Blümlein und verschenkte sie dann mit einem Brief oder einem Stammbuchvers. Das „schwarze Röslein“ für Camilla Paulus bekam folgende Verse:
Ich hatt ein Röslein wunderzart
Auf diesen Tag für dich gespart;
Allein es welkte vor der Zeit,
Ihm selbst wie mir zu grossem Leid.
Es welkt´und starb! – Vielleicht jedoch,
Sein bittres Los ihm zu versüssen,
Vergönnst du seinem Schatten noch
An diesem Feste dich zu grüssen.12)

Ein besonders schönes Röslein hat Luise Walther für ihr Patenkind Fanny Mörike geschnitten.
Sie hat dem Scherenschnitt folgende Verse hinzugefügt:
Glaub nur feste,  11
Dass das Beste
Über dich beschlossen sei.
Wenn dein Wille
Nur ist stille,
Wirst du von dem Kummer frei.13)

Man ist betroffen über diesen Rat der Älteren, willenlos zu sein, und zweifelt, ob man dadurch vom Kummer frei werden kann. Heute würde man einem Mädchen eher empfehlen, seinen Willen einzusetzen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Es drängt sich der Eindruck auf, hier habe Luise Walther das eigene, von ihr angenommene Schicksal beschrieben.

Die Originale der Abbildungen 1, 2, 4, 5 und 7 bis 12 werden im Schiller Nationalmuseum Deutsches Literaturarchiv Marbach aufbewahrt; wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung in „Schwarz Auf Weiß“.

Anmerkungen
1) Aus dem Gedicht „Mit einem Riechflakon“, Nachlese III; zitiert werden die Gedichte aus Eduard Mörike: Sämtliche Werke, Artemis & Winkler, München 1996.
2) Luise Walther: Meine Silhouetten zu Mörikes Hutzelmännlein in „März“, Halbmonatszeitschrift für deutsche Kultur, München 1907.
3) Friedrich Walther: Einleitung zu Luise Walther: Aus Mörikes Kreis und Stuttgarter Zeit, 150 Charakterköpfe, ausgewählt von H. W. Rath, Ludwigsburg 1923.
4) Mein herzlicher Dank gilt Herrn Dr. Davidis und Frau Gertrud Fiege von der Bildabteilung des Deutschen Literaturarchivs; mein besonderer Dank gilt Herrn Michaelis für die Fotos.
5 Bernhard Zeller: Luise Walther, Eine schwäbische Silhouettenkünstlerin in „Librarium“, Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft Heft 11/ 1960.
6) Martin Knapp: Deutsche Schatten- und Scherenbilder, München 1916.
7) Manfred Koschlig: Mörike in seiner Welt, Stuttgart 1954.
8) Paul Merbach: Eduard Mörike, Bielefeld und Leipzig 1925.
9) Die Scherenschnitte von Luise Walther zu Mörikes Stuttgarter Hutzelmännlein, Veröffentlichung des Schwäbischen Schillervereins, Stuttgart 1932.
10) „Erinnerungstücke“, Ausstellungskatalog, Deutsche Schillergesellschaft, Marbach 2001.
11) Diese Abbildung ist der erste Scherenschnitt in einem Büchlein, das sonst nur Porträt-Silhouetten enthält und im Deutschen Literaturarchiv Marbach aufbewahrt wird. Eine zweite Version des Motivs ist als Tafel 3 der 150 Charakterköpfe abgebildet; außerdem hat J. B. Zwecker 1860 Luise Walther mit ihrem Gatten in ähnlicher Weise aquarelliert, vielleicht angeregt vom Scherenschnitt, aber nicht so pointiert wie dieser.
12) Dieses Gedicht ist in der Kunstwart-Ausgabe des Callwey-Verlags mit (Das schwarze Röslein) überschrieben und mit folgender Anmerkung versehen: Das schwarze Röslein, von Luise Walther zierlich ausgeschnitten, vertrat die duftende Spende der Natur, um ein Motiv für den Dichter zu bieten, der Freunde und Freundinnen mit so geschmückten Versen zu beschenken liebte. Vgl. Schwinds Briefe an Mörike, S. 85.
13) Das Stammbuch von Fanny Mörike gehört zu der Sammlung Dr. Fritz Kauffmann, bis vor einigen Jahren ständig ausgestellt im Wilhelmspalais Stuttgart, jetzt im Besitz des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Die Eintragung stammt vom 14. Juli 1871, Fanny war 16 Jahre alt.

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