GRAPHIK-DESIGN ALS KOPF-TRAINING:
STANDARDS UND TRADITIONEN EINES UNVERZICHTBAREN MEDIUMS
Günter Schmidt (1945 – 2001) hat in den vergangenen drei Jahrzehnten mit einer Vielzahl eindringlicher Plakate – neben den Logos die klassische „Hohe Schule“ aller öffentlich präsenten „Bildbotschaften“ – eine sich rasant verändernde, die Printmedien sträflich vernachlässigende Bildschirmwerbewelt zum Nachdenken über das Selbstverständnis der Branche herausgefordert. Die Botschaften seiner Bildersprache sind kurzgeschlossen kaum in Buchstaben-Texte übersetzbar. Jeder spezifischen Werbeaufgabe gemäß antworten je spezifische Verschmelzungen aus weltweitem Bürger-Engagement, deutscher Bauhaus-Strenge, französischem Esprit und bisweilen exotischer Extravaganz. Als Quintessenz ist stets eine sehr persönliche und trotzdem ungemein publikumswirksame Bildcollage zu bewundern.
Schon ein kurzer Blick auf eine Günter Schmidt-Plakatwand, und sei es innerhalb einer verfremdenden musealen Präsentation, kann diesen unverzichtbaren Sympathie-Transfer zwischen der klugen, schnellen Plakat-Botschaft und ihrem gewitzten, trainierten Dechiffrierer in Gang setzen. Möglichst denselben „A-Ha-Effekt“ sollen die Reproduktionen im vorliegenden, die Ausstellung begleitenden Bildkatalog in den Köpfen der Betrachter auslösen. Hier – bei den über 200 Abbildungen – liegt der Hauptakzent der weitausgreifenden Retrospektive. Auch anhand von vielen bisher weniger bekannt gewordenen Arbeiten Günter Schmidts geht es dabei um das chronologische Nachzeichnen seiner graphischen Handschrift, die sich schon seit Anfang der Siebziger Jahre Bahn zu brechen begann (das genial-elementare Stadtlogo Münsters von 1970/1971).
Nach vielfältigen Experimenten mit Foto-Montagen und bildmäßigen Kreidezeichnungen sowie Ausflügen in die farbberauschte schriftenselige Pop-Kultur verdichtete sich zu Beginn der Achtziger Jahre das „ Günther-Schmidt-Plakat“ quasi zum unverwechselbaren Markenzeichen, dessen Hauptmerkmal der zurückhaltende, wohlüberlegte Einsatz aller graphischen Kunstgriffe ist. Der zuletzt bis zum Tode des Graphikers im April 2001 immer sparsamere, immer souveränere Umgang mit Farbe, Silhouette und Symbol nötigt Respekt ab; ebenso sein unbeirrbares, ganz und gar nicht resignatives Einlassen auf die Zweidimensionalität, auf die Natur des Flächen-Mediums Plakat. Deshalb nur konsequent erscheint schließlich sein bewusst unzeitgemäßes Nein zum plakativen Nachäffen einer in 3-D-Sensationen schwelgenden virtuellen Welt der Video-Clips. Deren ferne Vorahnen dürfen durchaus in der Effekthascherei und im Theaterdonner der Panoramen- und Salonmalerei des technikversessenen 19. Jahrhunderts gesucht werden.
Schmidts Rückbesinnung auf das elementare Rüstzeug des Graphik-Designers bedeutete keine Isolierung des Künstlers innerhalb „einer Generation, wie allein das Parallelbeispiel des seit etwa 1980 in Berlin tonangebenden Graphik-Studios von Nicolaus Ott und Bernhard Stein bestätigt. Statt eines unsinnigen Wettlaufs mit der Flut elektronischer Bildmedien – oder einer voreiligen Kapitulation vor dieser dschungelhaften Zauberwelt – eröffnete die Perspektive eines „Back to the roots“ den ungetrübten Blick auf die insgesamt stolze Erfolgsgeschichte der Plakatkunst seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts.
Deshalb sei an dieser Stelle ein kurzer historischer Orientierungsgang angeschlossen – leider nur noch in den Fußspuren Günter Schmidts, ohne ihn wie früher als Mitstreiter und kritisches Gegenüber befragen zu können. Den „Roten Faden“ der Plakatgeschichte des 20. Jahrhunderts erblickte er trotz aller expressiven Ausbrüche oder lähmenden Gängeleien von Seiten diktatorischer Regimes im unterschwelligen Herausarbeiten von sachlich-„bauhäuslerischen“ Gestaltungslinien, ohne die mit Bildwitz und Wortspiel arbeitenden Pariser und Schweizer Plakatschulen unterschätzen zu wollen. Aus diesem historischen Blickwinkel heraus fand er seine persönlichen Anknüpfungspunkte, von hier aus sortierte er Favoriten und Nieten einer vergangenen Plakatlandschaft auseinander, auch in den Diskussionen, die der Verfasser mit ihm während der Retrospektiv-Ausstellung „Die nützliche Moderne 1935/1955“ noch im Frühjahr und Sommer 2000 führen dürfte. Denn selbst in der von Faschismus, Krieg und Nachkriegsmisere verwüsteten Mitte des letzten Jahrhunderts hatten die von Günter der Im Kern gehen Beschleunigung und Verdichtung der Plakat-Botschaft sogar auf die erste bunte Blütezeit der „Plakatomanie“ in den schnell expandierenden Metropolen Paris und London kurz vor 1900 zurück; etwa auf die Londoner „Beggarstaff Brothers“, ein kometenhaftes Graphik-Meisterduo in der – von Günter Schmidt ebenfalls bravourös praktizierten -„Kunst des Weglassens“ aller Binnenzeichnung bis hin zu reinen, fernöstlich inspirierten Farbsilhouetten.
Als nächste Kraftstation der Plakat-Moderne, auf halbem Weg zwischen Jugendstil und Bauhaus, ist mit Fug und Recht das „Berliner Sachplakat“ der Jahre um 1910 ins Rampenlicht gerückt worden. Der raffiniert unprätentiöse, ja nackte Auftritt des Kaufgegenstandes – ob Streichholz, Lackschuh oder Kohlebrikett – lebte von kantig in die Fläche geschobenen Umrissen und typographisch knappen Slogans. Jeder Schnickschnack von Ornament und Allegorie, Messe-Medaille und Professoren-Lobspruch war wie hinweggefegt – in Paris, London oder New York der „Belle Epoque“ aber damals durchaus noch in Mode. Die oft banalen Berliner Pfennigartikel „adelte“ nicht nur eine von Plakat-Profis wie Lucian Bernhard, Julius Klinger oder Julius Gipkens inszenierte Monumentalität, sondern auch das (heute meist verdrängte, von Günter Schmidt aber mit Vorliebe revitalisierte) bildgerechte Querformat mit dunklem Fond.
Um nicht schwärmerisch in Detailstudien zu versinken Günter Schmidt verkörperte im Unterschied zum Verfasser keineswegs den Typ des plakatomanen Rechercheurs – sollen im Folgenden nur noch einige Schlaglichter auf die zweite Jahrhunderthälfte mit ihren sich nach 1945 neu formierenden Plakat-Leitbildern wie etwa Japan oder die Volksrepublik Polen geworfen werden.
Letzteres Land hatte den Mut besessen, mitten im Kalten Krieg, mitten im ominös-bedrohlichen „Ostblock“ durch gewagt-surreale, frechironische Blickfänge für Theater und Tanz, geradezu leidenschaftlich aber für den künstlerischen Film zu werben; während im durchkommerzialisierten Westen insbesondere das kitschgetränkte Filmplakat ein Schattendasein führte. Günter Schmidt imponierten diese unbekümmerten polnischen Doppel-Attacken gegen Ost und West, Parteiregime und Kapital, denen er als hochgeschätzter Teilnehmer von verschiedenen Warschauer Plakat-Biennalen gegenübertrat. Mehr noch: Er, der Macher und weltweite „Plakat-Exporteur“ entdeckte das Sammeln, wurde gleichsam zum „Plakat-Importeur“ und Propagandisten z. B. von polnischen Filmplakaten. Schon 1980 war die schnell wachsende Sammlung im Münsteraner Theater zu sehen. Allerdings stand er den zuweilen inflationär strapazierten, die Form um jeden Preis sprengenden „Gags“ polnischer „Wilder“ durchaus nicht unkritisch gegenüber. Seine vielgelobte Hommage an „30 Jahre Atlasfilm“ von 1990 wirkt deshalb geradezu als Antwort und Lehrstück darüber, wie bildmächtig verblüffende Gags (die „dreiäugige“ Cineasten-Brille) wirken können, wenn sie maßvoll in Form und Farben des Gesamtentwurfs eingebunden bleiben. Bedenkt man rückblickend seine damals – in der alten Bundesrepublik der Siebziger Jahre – fast noch exotischen Exkursionen zwischen Moskau, Warschau und Ost-Berlin, so könnte man ihn nachträglich – ohne jede Ironie fast zum bundesdeutschen Sonderbotschafter in Sachen Plakat, in Sachen kulturelle Entspannung ernennen.
Nach dem bisher über Günter Schmidts Arbeitsstil Gesagten musste er ebenso fast zwangsläufig von japanischer Formdisziplin in Bild und Schrift angezogen werden, wie sie idealtypisch in der weltweit populären Plakatserie von Yusaku Kamekura zu den Olympischen Spielen in Tokio 1964 zum Ausdruck kam. Bewundernswert trat immer wieder die Integrationskraftjapanischen Plakat-Designs hervor, wenn trotz einer zunehmend globalisierenden Werbewirtschaft ein Erfolgsschlager wie die US-amerikanische Pop Art aufgefangen „japanisiert“ und erfolgreich re-exportiert werden konnte. In der Gegenrichtung hatte die westliche Werbegraphik-Avantgarde schon seit den Tagen des Jugendstils die sparsam und asymmetrisch dekorierte Flächenkunst japanischer Farbholzschnitte nicht nur als exotischen Reiz ausgebeutet, sondern auch als neues Formprinzip akzeptiert.
Mit den rasanten Umbruchsjahren der weltpolitischen Wende von 1989/1990/1991 gelangten erfreulicherweise auch umwelt- und gesellschaftskritische Fragestellungen vor die Jurys großer internationaler Plakat-Wettbewerbe wie „Ecology and Pollution“ (Mexiko 1990), „Man.Nature.Society“ (Moskau 1992) und“America today, 500 years later“ (wiederum Mexiko 1992). Schon die provokanten Stichworte klangen wie Alarmzeichen, die Günter Schmidt sensibel und radikal zugleich etwa in der Kampagne gegen Umweltverschmutzung wortwörtlich verbildlichte, indem er SOS-Alarmcodes mit wechselnden Beispielen bedrohter Natur verschmolz.
Obwohl der Münsteraner dank dieser bildmächtigen Wettbewerbs-Entwürfe höchste internationale Auszeichnungen nach Hause brachte, so blieb doch die gerade in Deutschland nicht ohne Grund gestellte Frage nach der Wirksamkeit des „Propheten im eigenen Lande“. Bei aller unvermeidlich kritischen Distanz jedes Künstlers zu seinem örtlichen Arbeitsumfeld, bezog Günter Schmidt andererseits Kräfte der Konzentration gerade aus einer Stadt wie Münster, Anregungen, die ihm Metropolen mit ihrer anonymen Szene großer Werbeagenturen so nicht haben bieten können. Zweifellos ermöglichte die „Provinz“ mit einer traditionsbewussten Kaufmannschaft am Ort in diesem Fall selten gewordene Spielräume des Gestaltens jenseits platt-agressiver Massenwerbung um jeden Preis. Der Bildteil des Kataloges belegt dies mit zahlreichen Plakaten bis hin zu ganzen Serien, die sich teilweise über Jahre hinweg dank eines verlässlichen, solide finanzierten Kundenstammes entfalten konnten.
In den späten 1990er Jahren waren es dann Günter Schmidts fast asketische, schwarz-weiß konturierte „Low-Budget“ Plakate für die Städtischen Bühnen Münster, die als „Hingucker“ an allen Litfasssäulen nicht nur die eingefleischten Theatergänger bezaubern sollten – und es auch schafften, zum Stadtgespräch zu werden. Quasi als Urbilder starken Graphik-Designs teilten sie souverän die papierbunten Ströme links und rechts an den Anschlagflächen.
Dort verwittern Plakate in der Regel nach Wochen, werden überklebt, erfüllen ihre Bestimmung als Gebrauchsgraphik und enden ihr Dasein als „Verbrauchsgraphik“. Die Erhaltung einzelner Exemplare geschieht noch oft genug rein zufällig, systematisch zusammengestellte – aber stets lückenhaft bleibende – Plakat-Oeuvres folgen meist erst nach Jahrzehnten. Umso mehr ist es als Glücksfall zu bezeichnen, dass Günter Schmidt – der beileibe keinen Ehrgeiz zum Archivar besaß alle ihm bewahrenswert erscheinenden Plakate (zusammen mit Einladungskarten, Logos, freien Siebdrucken) im Atelier sorgfältig aufeinander stapelte. Der vorliegenden Retrospektive verschaffte der Künstler damit noch selbst die solide, repräsentative Basis; er konnte noch selbst Regie führen
Neueste Kommentare