Schaumann Ruth
* 24.08.1899 in Hamburg
? 13.03.1975 in München
Autor(in) Ronny Willersinn
aus Vereinszeitung SAW 13
Prägende Kindheitsjahre
Ruth Schaumann entstammte väterlicherseits einer hannöverschen Offiziersfamilie (der Vater Major und 1917 bei Verdun gefallen), mütterlicherseits einem alten niedersächsischen Geschlecht, durch Generationen Mühlenbesitzer in der Ülzener Gegend. So wurde sie am 24. August 1899 in Hamburg als zweite Tochter der Elisabeth Becker und des Offiziers Kurt Schaumann geboren und verlebte ihre Kindheit in der kleinen elsässischen Garnisonsstadt Hagenau und in der großelterlichen Mühle am Rande der Lüneburger Heide, zusammen mit zwei Schwestern – ein Bruder war bereits als Kleinkind verstorben – und später für Jahre ohne die Geschwister wieder in Hamburg. Doch der frühe Tod des Bruders sollte nicht die einzige Leid-Erfahrung ihrer Kindheit bleiben: 1905 an Scharlach schwer erkrankt, verlor sie mit sechs Jahren ihr Gehör, was ihr Leben außerordentlich prägte – zum einen durch frühes, tief empfundenes Leid, zum anderen durch eine Form innerer Einsamkeit, wie sie sich vielleicht auch in der Interpretation des Robinson–Themas ausdrückt, ein „Nach-innen-gerichtet-Sein”, das ihre künstlerische Entwicklung vertiefte oder gar initiierte, zumindest aber auf einen ganz eigenen Weg brachte.
Künstlerische Ausbildung
Dass aus der so früh erlittenen Behinderung für Ruth Schaumann kein Nachteil erwuchs, verdankt sie sicherlich zum Teil der begüterten Familie, die durch entsprechende Privatlehrer ihre Talente fördern konnte. Als alle Zeichen ganz klar in Richtung einer künstlerischen Laufbahn wiesen, übersiedelte sie 1917 nach München und besuchte dort eine private Kunstschule, was sich allerdings im Schwerpunkt Akt- und Modezeichnen nicht als die ihr gemäße Ausbildung erwies. Zu sehr hatte sie bereits ihre Befähigung auf schöpferisches, zutiefst religiös geprägtes Arbeiten und an den großen künstlerischen Inhalten ausgerichtet. Ihr mit 20 Jahren veröffentlichtes literarisches Erstlingswerk „Die Kathedrale” zeigt die Entwicklungen dieser Zeit – in der darstellenden Kunst verlief vieles parallel.
Ein Durchbruch zur notwendigen Öffentlichkeit erfolgte 1923 mit dem Aufsatz „Ruth Schaumann: Plastik und Dichtung” von Dr. Friedrich Fuchs, dem Schriftleiter der katholischen, aber alles andere als bigotten, der kritischen und eher im Verdacht des „Modernismus” stehenden Zeitschrift „Hochland”. Es war ein Blick auf ihr Werk aus nächster Nähe – 1924 heirateten der Kritiker, Romantikforscher und Hochland-Redakteur Dr. Fuchs und die Dichterin und bildende Künstlerin Ruth Schaumann. Die Ehe war von einer außerordentlich innigen und liebevollen Beziehung getragen. Es entstammen ihr fünf Kinder. In einfühlsamen Liebes-, aber auch Wiegenliedern (kleinen Versen samt kindhaften und doch tiefsinnigen Illustrationen) schlug sich dies künstlerisch nieder. Ihre Ehe beeinflusste das Leben der Künstlerin auf vielfache Weise, nicht zuletzt in der Konversion zur katholischen Konfession im Jahr der Eheschließung – wobei der Katholizismus, der religiöse Inhalte viel eher mit allen Sinnen umfußt als der Protestantismus, ihrem Wesen sicher immer schon näher war, so wie ihr religiöses Gedankengut in ihrem gesamten Werk eher „sinnlich” als „verkopft” erscheint.
Durch die fundierte Kritik des Literaturkenners herausgefordert, begleitet, gezähmt und geweitet, entstand eine Fülle von Werken, deren zentrale Themen Liebe, Leid und das Reifen an beiden in tiefgründig-symbolhafter, musikalischer und doch oft volksliedhaft-einfacher Sprache entfaltet werden. 1931 wurde Ruth Schaumann mit dem Dichterpreis der Stadt München ausgezeichnet – Thomas Mann soll nicht unmaßgeblich darauf hingewirkt haben. Ebenso umfangreich und gereift war das bildnerische Werk, das in diesen Jahren entstand – vieles davon Grafik, die die eigenen Texte illustrierte.
Das Scherenschnitt-Werk
Viel zu früh verstarb der geliebte Partner, Kritiker und ihr Gegenüber Dr. Fuchs im Jahr 1948. Betrachten wir aber die Zeit dieser Ehe, so fällt auf, dass gerade in diese Jahre sämtliche Scherenschnitt-Veröffentlichungen fallen. Es ist nicht nachweisbar, aber davon auszugehen, dass sie vor allem danach, aber evtl. auch vor dieser Zeit geschnitten hat. Dass aber die Veröffentlichungen sämtlich in die Zeit der Ehe fallen, ist sicher kein Zufall. Dr. Fuchs, der Brentano-Experte, kannte und schätzte sicherlich eine Vielzahl guter Scherenschnitte. Es waren ihm gewiss die Scherenschnitte der Bettina von Arnim (geb. Brentano und Schwester von Clemens Brentano) bekannt und aus deren Umfeld wohl auch die Arbeiten der Zeitgenossen Adele Schopenhauer und Varnhagen von Ense begegnet. Auf diese Weise mit der „kleinen schwarzen Kunst” konfrontiert und zur Herausgabe der eigenen Schnitte ermutigt, bekamen sie im Leben der Künstlerin einen deutlichen Stellenwert.
Als erste Veröffentlichung in diesem Bereich findet sich „Das Schattendäumelinchen” von 1933, eine Andersen – Nachdichtung für die Ohlendorf-Schattenspiele. Vier von sechzehn Schattenrissen – wohl eher Tuschzeichnungen als Scherenschnitte, aber doch ganz aus der Formenwelt der späteren Schnitte, werden hier abgebildet.
„Lorenz und Elisabeth”, ein 1936 entstandenes Kinderbuch ist zwar nur mit einem Scherenschnitt bebildert, sei hier aber wegen des inhaltlichen Zusammenhangs erwähnt, der sicher wie die meisten Werke der Künstlerin autobiografische Züge trägt und ihre innige Beziehung zum Scherenschnitt deutlicher macht: In dieser trotz allem Ernst humorvollen Kindergeschichte, die sie im Untertitel „eine schattige Geschichte” nennt, hat der Schuster Schadenfroh seinen Namen satt und tauscht sein „d” höchst amtlich und amüsant gegen „tt”. So wird aus dem neuen Namen Schattenfroh ein Omen für die gerade geborene Tochter Elisabeth. Viele Wortspiele ranken sich um die Begriffe „Schatten”, „schwarz”, „Dunkel” und deren hintergründige Bedeutung (wie sich überhaupt diese Begrifflichkeit in vielen Variationen im gesamten literarischen Werk wieder findet) – Elisabeth verunglückt und liegt gelähmt zu Bett. Nur die kleinen Hände bleiben beweglich und indem ihnen eine Schere und schwarzes Papier zufallen, entdeckt Elisabeth eine neue Welt: die der Schatten. Die Faszination ihrer Scherenschnitte erreicht die ganze Familie und gibt dem Namen Schattenfroh eine doppelte Bedeutung: froh an und in Schatten. Eine Freude, die sich weitergibt – in einem Lämmchen für den Pfarrer zum Beispiel, oder in einem „Sträußchen Schatten” für die Bürgermeistersfrau.
„Leben eines Weibes, das Anna hieß” (1936) ist ein 21-zeiliges Gedicht, mit ebenso vielen Scheren-schnitten illustriert. In Einfachheit, beinahe Kargheit, ohne Pathos und doch großer Tiefe zeigt es Lebensstationen einer Frau.
Viel Literatur und bildende Kunst schuf und veröffentlichte Ruth Schaumann noch in den Nachkriegsjahren. Gewürdigt wurde dieses Werk 1959 mit dem Bundesverdienstkreuz 1.Klasse und einigen weiteren großen Auszeichnungen, aber vielleicht doch nicht mehr in dem Maß beachtet, wie die Künstlerin es sich gewünscht und verdient hätte. Es war nicht mehr die Zeit, in der die leisen, tiefen Töne gehört wurden – und auch nicht die Zeit für Scherenschnitte. Sicher behielt der Scherenschnitt für Ruth Schaumann dennoch Bedeutung und war für sie immer gleichberechtigte Kunstform unter vielen anderen. Und da war noch eine weitere, beinahe therapeutische Funktion, die der Sohn A. Fuchs mit einem Lächeln schildert: Wenn nach Dichterlesungen die Zeit für Fragen gekommen war und Ruth Schaumann das perfekt erlernte und doch so mühsame Ablesen von den Lippen zu ermüdend wurde, zog sie oft ihr Scherchen hervor und sagte: „Wünschen sie sich was!” Die Ergebnisse begeisterten gelehrte Zuhörer wie Kinder – und sie gewann dabei Zeit und Entspannung… Auf solche Weise verbunden mit ihren „Schatten” und auf jene hintersinnige Weise: Lassen wir sie selbst dieses als Schlusswort sagen, mit dem letzten Gedicht aus der „Kleinen Schwarzkunst” und einem undatierten Scherenschnitt.
Siehe oben Vers und Scherenschnitt
Literatur zu Ronny Willersinn: Ruth Schaumann.
Rolf Hetsch: Ruth Schaumann Buch.- Rembrandt-Verlag Berlin 1933.
Ruth Schaumann: Das Schattendäumelinchen.- G. Grotesche Verl.-Buchhandl. Berlin 1933.
I.F.Coudenhove ed. Der Kristall.- Verlag Herder Freiburg 1935.
Ruth Schaumann: Lorenz und Elisabeth.- Verlag Kösel und Pustet München 1936.
Ruth Schaumann: Leben eines Weibes, das Anna hieß.-
G. Grotesche Verl.-Buchhandl. Berlin 1936.
Ruth Schaumann: Kleine Schwarzkunst.- F. H. Kerle-Verlag Heidelberg 1946.
Ruth Schaumann: Das Arsenal (Autobiografie) F. H. Kerle-Verlag Heidelberg 1968.
Josef Gülden (Vorwort): Mensch unter Menschen. Ein Ruth Schaumann-Buch. St. Benno-Verlag Leipzig 1976.
Anlässlich einer Kunst-Ankaufsaktion für die Ausstattung des Nachsorgekrankenhauses Perlach, lernte ich Ruth Schaumann in ihrer Wohnung kennen. Sie schenkte mir ihr Buch „Das Arsenal“ und einige ihrer Holzschnittdrucke. Bis zu ihrem Tod, den sie im Brief vorausahnte, hatte ich einen kurzen Briefwechsle mit ihr. Da ich nicht möchte, daß dies alles nach mir weggeworfen wird, würde ich einen Interessenten dafür suchen.
Sehr geehrter Herr Gerstner, mit großem Interesse habe ich Ihren Eintrag gelesen. Leider bin ich erst heute auf diese Seite gestoßen und hoffe, dass Sie mir auf der Spurensuche von Ruth Schaumann
weiterhelfen können.
Mit Dank und vielen Grüßen,
Amei Mende
Sehr geehrte Frau Mende , durch Zufall bin ich auf Ihren Kommentar gestossen.Könnten Sie mir bitte mitteilen , welcher Art Ihr Interesse an Ruth Schaumann ist , da ich im Besitz zahlreicher persönlicher Briefe , Karten usw. von ihr bin,die sie an Ihre Schwester geschrieben hat.
Mit freundlichen Grüßen
Mario Beer