Granot Archie

Archie Granot                                        15-01archieportrt

Autor/in Antje Buchwald                   
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Der jüdische Scherenschnitt besitzt eine lange Tradition. Die ältesten überlieferten Werke stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Es existiert jedoch ein Hinweis aus dem Jahr 1345, dass ein Jude in Kastilien Scherenschnitte hergestellt haben soll. Die meisten der heute bekannten Scherenschnitte entstanden allerdings zwischen dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum frühen 20. Jahrhundert.


So entwickelte sich in der jüdischen Volkskunst in Polen und Russland seit dem 19. Jahrhundert ein eigenständiger Typus liturgischer Scherenschnitte. Sehr beliebt waren die so genannten „Misrach-Blätter“, die in einem Rahmen die Gebetsrichtung gen Jerusalem anzeigen.


Juden in aller Welt schätzen Amulette. Das „Kimpetbriefl“ z.B. ist ein Amulett, welches über das Bett von Wöchnerinnen gehängt wurde. Es sollte mit seinen beschwörenden Sprüchen Mutter und Kind schützen. Denn nach einer alten jüdischen Legende war Adam ursprünglich mit Lilith verheiratet, die er jedoch verstieß, um Eva zu heiraten. Mit ihr bekam er Kinder. Seitdem übt Lilith Rache, indem sie versucht, Schaden über Mutter und Kind zu bringen.


Auch für viele jüdischen Feste wurden und werden Scherenschnitte angefertigt. In Galizien war es z.B. Brauch zu „Schawuot“, dem Wochenfest in Erinnerung an die Gesetzgebung auf dem Berg Sinai, die Fenster mit „Reiselech“ oder „Schwueslach“ zu schmücken. Diese meist aus einem Blatt geschnittenen Werke zeigten den Davidstern oder den siebenarmigen Leuchter.


Die meisten Scherenschnitte entstehen allerdings, indem ein doppelt gefaltetes Papier mit einem Messer geschnitten wurde, nachdem es auf ein Holzbrett genagelt wurde. Hauptsächlich, wenn nicht gar ausschließlich, wurde diese Kunst von Männern ausgeübt. Oft wurden sie von Schreibern hergestellt, die sich mit mythischen und kabbalistischen Quellen auskannten. Später wurden die Scherenschnitte von herumreisenden Händlern verkauft.


Nur wenige dieser fragilen Kunstwerke haben die Zeit überlebt. Mit der Vernichtung des osteuropäischen Judentums durch die Naziherrschaft wurde dieses Kunsthandwerk nahezu ausgelöscht. In Israel und in den USA jedoch ist diese künstlerische Tradition neu belebt worden. Während der letzten fünfzig Jahre wurde der Scherenschnitt als Kunst des jüdischen Ausdrucks in der herkömmlichen Form des Papierfaltens wiederbelebt. Diese Scherenschnitte zeigen oft traditionelle Motive.

 

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Der aus England stammende Archie Granot gehört zu den führenden israelischen Künstlern, die die Kunst des jüdischen Scherenschnitts mit neuen Inhalten versah. Nach Abschluss seines Studiums über russische Studien und Politikwissenschaft in Glasgow, Schottland und Jerusalem entdeckte er den Scherenschnitt für sich 1979. Ausgangspunkt hierfür waren die spielerischen Werke seiner Tochter.


Granots Scherenschnitte sind von der ost-jüdischen Tradition der Scherenschnitte beeinflusst sowie von Arbeiten der ersten jüdischen Kunst- und Kunstgewerbeschule, der Bezalel-Schule in Jerusalem. Auch die islamische Ornamentik mit ihren geometrischen Motiven ist als Inspirationsquelle zu beobachten.

Im Unterschied zum traditionellen Scherenschnitt legt Archie Granot mehrere geschnittene, farbige Schichten Papiers unterschiedlicher Qualitäten übereinander und erzielt so Plastizität. Das Papier, welches aus Dänemark, Italien, Spanien und Frankreich stammt, erlangt bei ihm ebenso viel Bedeutung wie der Scherenschnitt selbst, im Gegensatz zu vielen der einfachen Scherenschnitte Osteuropas, die aus Stücken weißen Papiers entstanden. Auch differenziert sich Granot motivisch: Er schneidet keine Löwen oder Kronen. Seine Scherenschnitte zeichnen sich durch geometrische Verflechtungen aus, die der Künstler mit einem Skalpell freilegt. Die komplizierten Flächenmuster erinnern an die jüdische Kunst Nordafrikas und an Motive der islamischen Architektur.


Auffälliges Element der Werke Granots ist darüber hinaus die Verarbeitung biblischer und rabbinischer Texte. Auf traditionell jüdischen Scherenschnitten wurden Worte aus der Heiligen Schriften noch geschrieben, Archie Granot allerdings schneidet jeden einzelnen kalligrafischen Buchstaben aus dem Papier. Hierfür entwickelte er eine eigene hebräische Typografie, die den wechselnden Themen und Motiven angepasst wird.

 

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Zentrales Thema seiner Kunst ist Jerusalem. Auf zahlreichen Scherenschnitten verwendet er die Abbildung des Zweiten Tempels aus der Dura Europos-Synagoge des 3. Jahrhunderts, die erste Wiedergabe, die nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahre 70 entstand.


Mehrschichtigkeit von unterschiedlichen Papieren und die Verwendung von Typografie machen Archie Granots Scherenschnitte zu unverwechselbaren Schöpfungen des jüdischen Scherenschnitts, der seit je eine enge Beziehung zur Kalligrafie aufwies.


www.archiegranot.com


Literatur

Biegel, Gerd (Hg.): Jüdische Scherenschnitte von Archie Granot. Ausst.-Katalog Landesmuseum Braunschweig. Braunschweig 1988.Shadur, Joseph und Yehudit: Traditional Jewish Papercuts. An inner World of Art and Symbol. Hanover 2002
www.shalom-magazine.com/Print.php?id=270212 (=Jennifer Breger: Jüdische Scherenschnitte. In: Shalom 27 – Kunst und Kultur) (letzter Zugriff 10.09.09)



 

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