Hegelmaier, Ursula

Hegelmaier Ursula

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Autor(in) Otto Kirchner
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In der Backnanger Ausstellung im April 1990 hat Ursula Hegelmaier mit einem Text eingeladen, den man als Schlüssel zu ihren Arbeiten ansehen kann: Was je uns angeht, geht in uns ein, wird zum Geschehnis und geht verwandelt dann als Bekenntnis neu von uns aus.

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Ebenso beispielhaft für die Künstlerin ist der zum Text gehörige Scherenschnitt.  
Man meint, eine Pflanze zu erkennen, weil die „Blätter“ von einer Wurzel ausgehen. Es könnten aber auch Flammen sein, welche unruhig nach oben schlagen. Auffallend sind die Drehungen und Überschneidungen. Bewegung darzustellen ist ein zentrales Thema in den Scherenschnitten von Ursula Hegelmaier.

 

 

 

Geliebte gefährdete Welt
Diesen Titel gab Ursula Hegelmaier einem Buch mit Scherenschnitten und Texten, das 1994 erschienen ist. Die Bilder der pflanzen und Tiere zeigen, wie nahe die Künstlerin der Natur und ihren vielfältigen Formen ist.

Aus den dunklen Stengeln der Küchenschelle wachsen die bei den hellen Blüten.
Eine davon ist noch halb geschlossen, von der anderen ist das Innere zu sehen. Die Stengel kommen aus hellen Blattknospen, die wie eine Wiederholung der Blüten wirken, und aus dem Wurzelstock wachsen die spärlichen Blätter, in welche hell die Rippen geschnitten sind. Bei dem Scherenschnitt steht folgender Text:


hegelmeier-kchenschelle02Es rinnt der Quell
und fragt nicht nach dem Ziel.           
Es strömt das Licht,
verströmt sich wie im Spiel.
Es blüht die Blume
scheinbar ohne Sinn;
und du nur, Mensch,
fragst nach Woher-Wohin.


 

 

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Im Nachwort des Büchleins schreibt Ursula Hegelmaier: „Schon als Kind erfuhr ich die Tröstungen von Baum und pflanze, von Blüte und Tier. In dunklen Zeiten halfen sie mir, wieder froh zu werden. Ist der Baum nicht Gleichnis für den Menschen, oft vom Sturm niedergebeugt und zugleich immer wieder tapfer zum Himmel aufgerichtet?“  Bäume als „Gleichnis für den Menschen“ hat sie immer wieder geschnitten, manchmal auch in großem Format. Sie lassen sich ohne Einbuße an Qualität verkleinern. Es heißt, dies sei ein wichtiges Qualitätsmerkmal des Scherenschnitts.

 


 Urformen
Die Beschäftigung mit der Natur führte Ursula Hegelmaier zu elementaren Formen. Der „Urbaum“ ist dafür ein Beispiel.  Hier gibt es keine unter der Last sich biegenden Äste mehr, sondern nur noch auf das Wesentliche reduzierte ruhige Form. Bei der Zwiebel ist es eine Ruhe, in der man die Spannung des künftigen Wachsens spürt. Diese „Urformen“ gibt es auch bei den Tierdarstellungen. Der Fisch ist nicht eine bestimmte Art, sondern ein Typus, großäugig und mit fast pflanzlich ornamentalem Schwanzende.


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Christliche Themen
In der Einführung zu einer Ausstellung ihrer Scherenschnitte sagt Ursula Hegelmaier: „Mein Anliegen ist weniger die Kritik an unserer Zeit, obwohl auch das immer wieder anklingen mag. Ich fühle mich gedrängt, auf meine Weise Gottes Schöpfung zu preisen, wie sie sich in Mensch und Tier, in Baum, Blume und Grashalm offenbart, gerade weil diese von Gott geschaffene Schönheit wohl nie so gefährdet war wie in unserer Zeit.“ Von den Kreaturen der Schöpfung führt der Weg zum Schöpfer und zu den biblischen Geschichten. Dazu hat Ursula Hegelmaier ganze Serien geschnitten: – Die Schöpfungsgeschichte nach der Priesterschrift  – Die „Jahwistische“ Schöpfungsgeschichte (8 Scherenschnitte) – Die Geschichte des Propheten Jona (5 Scherenschnitte) – Leben-Jesu-Folge (30 Scherenschnitte).
Was sie bei den Pflanzen und Tieren eher vereinzelt anwendet, wird bei den christlichen Themen vorherrschendes Gestaltungsmerkmal: die Formen weiß aus dem schwarzen Papier herauszuschneiden.  hegelmeier-jonas07
Bei Jonas bilden die weißen Figuren einen deutlichen Kontrast zum dunklen Schiff und zum riesigen Leib des Walfischs. Durch die weißen Ränder wird das Maul zum schwarzen Schlund, und das Auge scheint auf das herabstürzende Opfer zu schielen. Der Körper des Fisches ist von riesigen Wellen umgeben, in denen das Schiff zu kentern droht. Ober allem Ungemach ahnt man aber, dass Jonas geborgen sein wird im Bauch des Fisches. Noch zeichenhafter sind die Formen, welche beim Leben Jesu aus dem schwarzen Papier geschnitten sind.


 

Man versteht jetzt, warum Ursula Hegelmaier auf der 1. Mitgliederversammlung den Titel „Schwarz auf Weiß“ kritisiert hat: „Da Scherenschnitte ja gar nicht immer nur schwarz auf weiß sind, sondern durchaus auch weiß auf schwarz oder gar farbig, meine ich, seien wir dadurch zu festgelegt. Da gäbe es sicher Alternativen, etwa: „Schere macht Papier lebendig“ oder „Papier und Schere“ – „Die kreative Schere“ – „Die Schere, die das Papier zum Sprechen bringt“, auch an der Diskussion der Thesen zur Komposition eines Scherenschnitts von Berta von Böventer hat sich Ursula Hegelmaier beteiligt: „Warum sollte es nicht der künstlerischen Freiheit überlassen bleiben – natürlich immer innerhalb der Grenzen, die durch das Material und in diesem Fall durch die Fläche des Papiers gegeben sind, dass die Schere durchaus Eigenwilligkeit zeigt und das bei jedem Scherenschneider auf eine andere Weise und gerade darum so eigenwillig lebendig bleibt in dem, was sie darstellt“.

Man kann sagen, dass dies die vorherrschende Ansicht des Scherenschnittvereins ist. „Sie schließt auch selbstverständlich den Anspruch ein, die Papierschnittechniken als eigene Kunstform anzuerkennen“ (Claus Weber: Mehr Mut zum Scherenschnitt SAW Heft 6).


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Der Mensch in seinen Zwängen
Auch wenn Zeitkritik nicht das Hauptanliegen von Ursula Hegelmaier ist, so wird doch in den Scherenschnitten immer wieder der Druck sichtbar, unter dem der Mensch leben muss. Während in diesem Schnitt die Zwänge fast pathetisch dargestellt sind, wirkt der Frisiertisch leicht und beinah spielerisch. Ist es ein Zwang, der den Menschen zum Spiegel treibt, der Zwang, schön sein zu wollen, sein zu müssen? Oder ist die Szene eine Art Einladung, der zu folgen freiwillig ist?

 Abstrakte Figuren
Es gibt verschiedene Wege zur Abstraktion, und einer scheint so zwingend wie der andere. Einmal ist es der spielerische Umgang mit den Formen. Ein Rest Papier kann der Anlass sein, daraus einen „tanzenden Kreis“ zu schneiden. Ursula Hegelmaier besuchte 1947/48 die Freie Akademie von A. L. Merz in Stuttgart. Hier hat sie das Rhythmisieren auf der freien Fläche nach Hölzel“ kennen gelernt und auf den Scherenschnitt übertragen. Merz war der Meinung, dass man auch bei der verbeulten Blechbüchse die Formen wahrnehmen müsse. Die abstrakten Scherenschnitte sind in diesem Sinne Antworten auf die sichtbare Welt. Es sind ruhige und ausgewogene Figuren, gleichzeitig sind sie aber äußerst lebendig und voller Spannung.


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„Die Phantasie des Betrachters wird angeregt“, sagt die Scherenschneiderin Ursula Hegelmaier, „das Ausgesagte mitzuvollziehen und damit auf seine Weise zu vollenden“. Wo bin ich sicher, dass der Papierschnitt eine der vielen Möglichkeiten ist, unsere Welt zu erfassen und dabei ihrer geheimnisvollen. Wirklichkeit nahe zu kommen. Wir können uns davon bewegen und verändern lassen, so das etwas mit uns geschieht; das uns nicht zurücklässt als die, die wir vorher waren“.

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