Grünwaldt Elisabeth

 

Grünwaldt, Elisabethgruenw_ph

* 01.12.1871 in Mitau (Kurland)
? 10.05.1961 in Hohenstein
Autor(in) Manfred Schober
aus: Vereinszeitung SAW 04

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In Mitau (Kurland) wurde sie am 01. Dezember 1871 geboren. Ihr Lebensweg war hart. Nach dem Tode der Mutter unterstützte sie den Vater, der eine Armenanstalt leitete, in seiner Tätigkeit. Unter den Armen waren auch Kinder. Ihrer nahm sich das junge Mädchen besonders fürsorglich an. Bei dieser Tätigkeit erwachte in ihr der Wunsch, einen Kindergarten zu eröffnen und zu leiten. Um dies tun zu dürfen, musste sie als Deutsche die russische Sprache beherrschen. Zur Erlernung der Sprache nahm sie eine Stellung als Erzieherin in einer Millionärsfamilie an der Wolga an. Nach vier Jahren sprach Elisabeth Grünwaldt fließend russisch. Mit den als Erzieherin erworbenen Geldern finanzierte sie ihre Teilnahme an einem Fröbelkursus, den sie mit Diplom und Auszeichnung abschloss. Danach eröffnete sie in Libau einen deutschen Kindergarten. Außerdem bildete sie Kindergärtnerinnen heran.

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In dieser Zeit entstand ihr später weithin bekannter Name „Tante Lieschen”. Friedrich Klemm, der 1961 für Elisabeth Grünwaldt eine kleine Gedenkschrift verfasste, schreibt darin über diese Zeit: „Die Fröbelschen Anregungen können Erwachsene begeistern und fördern. Kein Wunder, dass die hochbegabte Künstlerin ihre Fähigkeiten entfaltete. Sie nahm Mal- und Zeichenunterricht und besuchte Musikstunden. Farbe wurde ihr zu Musik, Form zu Rhythmus und umgekehrt. Ihr eigentliches Gebiet aber wurde mehr die „Schwarze Kunst”.

In den letzten Jahren des 1. Weltkriegs bekam sie Fühlung mit Soldaten, die der Wandervogelbewegung angehörten. Die Ideale der Wandervögel für die Lebensgestaltung entsprachen auch den ihren. „Tante Lieschens” Kindergarten wurde eines der „Nester” für die Wandervögel. Hier wurde gesungen und musiziert. Dabei kam sie auch in Verbindung mit Max Jacob, der damals in Libau seinen Militärdienst verrichtete, und, seit Jahren mit der Wandervogelbewegung verbunden, hier Leiter der feldgrauen und zivilen Wandervogelgruppe war.

Diese Freundschaft prägte von nun an ihren gesamten weiteren Lebensweg. Als sie nach Kriegsende ihren Kindergarten schließen musste und dadurch mittellos dastand, holte sie Max Jacob in das kleine Erzgebirgsstädtchen Hartenstein. Hier war damals das Zentrum der Wandervogelbewegung entstanden, und hier fand die inzwischen fünfzigjährige Frau auch einen kleinen Kreis gleichgesinnter baltendeutscher Landsleute vor. Trotz Heimweh begann sie sich ganz für die Sache des Wandervogels, und nach dem ersten Puppenspiel von Max Jacob am 10.08.1921, das als Gründungsdatum der Hohnsteiner Handpuppenbühne gilt, für diese Kunst einzusetzen.

In dem neuen Lebenskreis konnte sie, wie Marie Jacob schreibt, „alle ihre Ideen und Begabungen für eine Sache einsetzen, die sie begeisterte. Sie ging, wie es ihrer  grnw07Veranlagung entsprach, voll und ganz in ihrer Tätigkeit auf. Sie lebte mit den Puppen, für die Puppen, die durch ihre Hände gingen und bewahrte sich immer einen gewissen Abstand zum wirklichen Leben. So ist es Elisabeth Grünwaldt, die das Hartensteiner – Hohnsteiner Puppenspiel zusammen mit Max Jacob begründet und weitergeführt hat”.

„Tante Lieschen” war in der Werkstatt der Hohnsteiner Handpuppenbühne die Gewandschneiderin. Sie zog die Handpuppen an, deren Köpfe Theo Eggink geschnitzt hatte. Unter ihren Händen entstanden auch Tiere für das Spiel. Theo Eggink und Elisabeth Grünwaldt haben in ihrer Arbeit das äußere Erscheinungsbild der Hohnsteiner Handpuppenbühne entscheidend geformt.grnw08



Von den mageren Einkünften des Puppenspiels konnten die Spieler mit ihren Angehörigen und die Mitarbeiter der Werkstatt nicht leben. Deshalb betrieb die Kasperfamilie schon in Hartenstein und nach der 1928 erfolgten Umsiedlung nach Hohnstein auch dort nebenher einen Kunstgewerbeladen. In ihm wurden neben Hohnsteiner Puppen, Perl- und Bastarbeiten, Tonwaren und Postkarten auch Scherenschnitte von Elisabeth Grünwaldt zum Verkauf angeboten. Zuweilen bildete der Erlös aus dem Verkauf von Scherenschnitten die einzige finanzielle Grundlage für die Bestreitung der lebensnotwendigsten Ausgaben. Elisabeth Grünwaldt beschickte schon zu Beginn der zwanziger Jahre mit ihren Arbeiten Scherenschnittausstellungen. Sie wurde dadurch bekannt. Seit 1926 wurden ihre Schnitte auch als Illustrationen in Märchenbüchern, Kalendern, Schulbüchern und auf Postkarten gedruckt. Leider gibt es keine Bibliographie der von ihr illustrierten Bücher. Ihr Gesamtwerk soll nach Angaben von Friedrich Klemm, der mit der Künstlerin befreundet war, etwa 600 Arbeiten umfassen. Von den für den Verkauf bestimmten Scherenschnitten hatte sich Elisabeth Grünwaldt eine Mustersammlung angelegt. Sie diente ihr bei weiteren Bestellungen für gleiche Motive als Vorlage.


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Elisabeth Grünwaldts erste Scherenschnitte entstanden noch in den Jahren, als sie Kindergärtnerin war. Einige frühe Schnitte sind in ihrem Nachlaß erhalten geblieben, den das Sebnitzer Kunstblumen- und Heimatmuseum „Prof. Alfred Meiche” verwahrt. Es sind kurische Landschaften, sowie Köpfe und Figurenschnitte von Kindern und Erwachsenen, die ihr nahe standen. Später erweiterte sie den Kreis ihrer Scherenschnittmotive um Blumen- und Wiesenstücke, kleine Stilleben, Vignetten, Exlibris und Szenen aus Märchen. Das Spiel der Hohnsteiner Bühne regte sie an, einzelne Szenen und Puppenköpfe zu schneiden. Außerdem entstanden Schnitte für Jubiläen der Bühne und ihrer Mitarbeiter. Ihre Bilder signierte sie seit der Hohnsteiner Zeit mit den Großbuchstaben „EGH”.

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Aus ihren peinlich sauber gearbeiteten Scherenschnitten spricht ihr Wesen. „Das künstlerische Aufnahmevermögen”, schreibt Klemm, „paarte sich mit Überempfindlichkeit: . Vor jedem Gewitter erlitt sie schweren Druck. Aber sie ließ sich nie fallen, wie es wohl die meisten anderen getan hätten. Kraft zum Ertragen floß ihr aus einem starken Glauben und Gottvertrauen zu.”

Elisabeth Grünwaldt war ein komplizierter Mensch. Das Zusammensein mit ihr war deshalb nicht immer einfach. Aber sie war bei alledem im Innersten gütig, äußerst verläßlich, immer bestrebt, anderen zu helfen und sie zu trösten.

Seit 1934 lebte „Tante Lieschen” im Kasperhaus von Hohnstein, wo sie von Marie Jacob, der Frau des Puppenspielers Max Jacob, und den übrigen Mitgliedern der Kasperfamilie liebevoll betreut wurde. In den letzten Lebensjahren hatte sie viele körperliche Leiden zu ertragen. Dennoch war sie noch lange künstlerisch tätig und erreichte ein hohes Alter.

Sie starb, fast neunzig Jahre alt, am 10. Mai 1961 und wurde auf dem Friedhof des Burgstädtchens beigesetzt. Ihre Grabstätte ist noch erhalten. Sie befindet sich neben der von Marie und Max Jacob. In den letzten Jahren waren Scherenschnitte von Elisabeth Grünwaldt in Ausstellungen zu sehen, die in Gera, Dresden, Bautzen, Sebnitz und Hohnstein gezeigt wurden.

Bemerkung:

Das Sebnitzer Kunstblumen- und Heimatmuseum „Prof. Alfred Meiche” wurde im Jahre 1909 gegründet. Es verfügt unter Anderem über zahlreiche Arbeiten von heimischen Künstlern. Dazu zählen die Scherenschnitte von Adolf Tannert (1839-1913), der mit seinen realistischen Arbeiten wohl zu den bedeutendsten Künstlern der ”schwarzen Kunst” im 19. Jahrhundert zählt, Gisela Schelcher geb. Kemlein, dem Schnitzer der Hohnsteiner Puppenbühne Theodor Eggink (geb. 03.06.1901 in Riga, gest. 30.03.1965 in Hohnstein), Hans Leyde (geb: 12.12.1903 in Dresden), C. Voigt, und der Nachlaß von Elisabeth Grünwaldt, deren Leben und Werk vorgestellt wurde.

Aus Anlaß ihres 125. Geburtstages wurde im September 1996 eine Sonderausstellung von ihren Arbeiten in Sebnitz gezeigt.

 
 

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