* 22.08.1899 in Unfinden/Unterfranken
† 29.09.1976 in Heroldsberg
Autor(in) Antje Buchwald M.A.
aus: Vereinszeitung SAW 33
„Das Schönste aber war, dass man mit Papier und Schere zaubern und phantasieren konnte, wie in keiner anderen Technik sonst. So entstanden – wohl auch durch den Hang zur Abstraktion – Blätter, die in neuer Weise, die schönen und heiteren Gebilde früherer Jahrhunderte fortsetzen.“ (Fritz Griebel)
Die Verdienste des Malers und Grafikers Fritz Griebel (1899-1976) für die Kunst des Scherenschnitts sind nicht hoch genug einzustufen. Er befreite das Medium von seiner Biedermeierlichkeit und überführte es in die moderne Kunst. Bereits in Kindertagen fand Griebel zum Scherenschnitt. Dieses grafische Medium – einzig bestimmt durch das Gestaltungselement der Konturlinie, des Umrisses –, ermöglicht eine Reduzierung auf das Wesentliche in der künstlerischen Darstellung.
Künstlerische Ausbildung und erster Direktor der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg.
1899 als Sohn eines Pfarrers in Unfinden geboren, macht sich schon früh die künstlerische Begabung Griebels bemerkbar. Zusammen mit seinem älteren Bruder Paul (1878-1918) übte er sich in der Feinmalerei nach Albrecht Dürer (1471-1528). Aber auch für die Technik des Scherenschnitts konnte sich Fritz Griebel begeistern, die er später sowohl inhaltlich als auch technisch erneuern sollte.
Seine künstlerische Ausbildung erhielt er seit 1917 bei Rudolf Schiestl (1878-1931) an der Kunstgewerbeschule in Nürnberg in Buchkunst und Grafik. 1922 wechselte Fritz Griebel an die Hochschule für bildende Künste nach Berlin, wo er Meisterschüler von Hans Meid (1883-1957) wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte 1946 die Ernennung zum Professor für Landschaftsmalerei und freie Grafik an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, die damals noch in Schloss Ellingen ausgelagert war. Zwei Jahre später sollte Fritz Griebel bis 1957 Direktor der Akademie werden. Ihm ist auch der Neubau des Akademiegebäudes von 1949-1954 im Waldgebiet am Tiergarten nach Plänen von Sep Ruf (1908-1982) zu verdanken. Rückblickend äußerte sich Fritz Griebel hierüber: „Ja, es war eine mühsame, doch auch schöne Aufgabe, nach dem Krieg neu zu planen und für Nürnberg diese Akademie zu schaffen. Ein Stück meines Lebens hing und hängt heute noch an der Akademie.“
Neben seinem Amt als Direktor dozierte er jedoch auch weiterhin bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1966 und war darüber hinaus auch immer Künstler geblieben. So entstand bis zu seinem Tod im Jahr 1976 ein facettenreiches Werk, das sowohl technisch als auch im künstlerischen Ausdruck vielseitig ist.
Die Hinwendung zum Scherenschnitt während des Ersten Weltkrieges
Überblickt man Fritz Griebels umfangreiches Scherenschnitt-Œuvre, so wird deutlich, dass er alle Techniken wie Weiß- und Schwarzschnitt, Spitzenbildschnitte und Gattungen wie Porträt- und Genresilhouette anwandte und beherrschte. Er entdeckte das Medium Scherenschnitt zu einer Zeit, als es in der Öffentlichkeit wieder eine stärkere Resonanz erfuhr. Besonders durch die Wertschätzung der Expressionisten für Linol- und Holzschnitt, der ähnliche ästhetische Wirkungen erzielt, erfuhr der Scherenschnitt zwischen 1890 und 1920 eine Renaissance. So wurden beispielsweise während des Ersten Weltkrieges Feldpostkarten oder für diverse karitative Zwecke Postkartenserien mit Scherenschnitten gedruckt.
Inspirierend auf den jungen Fritz Griebel war die von Martin Knapp 1916 herausgegebene Publikation Deutsche Schatten- und Scherenbilder aus drei Jahrhunderten. Hier dürfte er auch zum ersten Mal die skurrilen Schnittbilder Rudolf Wilhelm von Stubenbergs (1643-1677) abgebildet gesehen haben. Nicht nur thematisch, sondern auch stilistisch wirkten sie inspirierend auf den jungen Künstler. So nehmen Griebels Weißschnitte Stubenbergs Stilmittel des Verwebens von Tieren und mythologischen Figuren mit Laubwerk auf. Aus diesen Figuren, die bei Fritz Griebel entweder auf Ästen sitzen oder aus dem Laubwerk zu wachsen scheinen, sollten sich mehr als 30 Jahre später seine schwebenden Figuren und Zeichen entwickeln.
Der Öffentlichkeit bekannt wurde Griebel zunächst durch Buchillustrationen, die auch lobend von der Kritik erwähnt wurden. So zeugen seine Silhouetten im Büchlein Gottesgarten von 1922, in welchem alte Liedtexte mit Scherenschnittbildern Griebels korrespondieren, von einer innovativen Bildsprache. Seine Mariendarstellungen situiert er in eine eigenwillige Flora und Fauna, die Linienführung ist zuweilen barock-verschnörkelt. Die Schnittbilder lassen keine Assoziationen des Biedermeierlichen erkennen.
Fritz Griebel als Avantgardist
Während er zunächst Themen der Bibel wie die Passionsgeschichte, der Apokalypse, der Legende sowie der Mythologie und Volkssage im Scherenschnitt umsetzte, beginnt um 1923 die Formenwelt der Antike seine Schnittkunst zu bereichern. Bereits an anderer Stelle wurde nachgewiesen, dass seine Antikerezeption kunsthistorisch im Kontext der internationalen Bewegung des Neuen Klassizismus um 1910 bis 1930 steht. Führende europäische Künstler wie Picasso (1881-1971), Matisse (1869-1954) oder Maillol (1861-1944) entdeckten das kulturelle Erbe der Antike als ein für sie bereicherndes Stilmittel. Grundlegendes Merkmal dieses Neuen Klassizismus war das Prinzip der stilistischen Synthese – dem Ausgleich von Stilisierung und Naturbeobachtung, von Ausdruck und Harmonie. Mit der Rückbesinnung auf die Antike schufen die Künstler einen Gegenpol zur kriegszerstörten Welt. Dieses Ideal, die Bewegung des Neuen Klassizismus, basierte auf der Nachahmung der gesamten Antike. Sie fungierte als eine Kontemplation einer höheren, reineren und perfekteren Realität.
Mit dem Schnittbild „Blumenvase“ aus dem Jahr 1923 kündigt sich zum einen Fritz Griebels Rezeption der Antike an und zum anderen die zwei großen Themen seiner Kunst: Aktdarstellungen und Stillleben. Das sich auf der Vase befindliche Paar ist durch Binnenschnitte akzentuiert, wobei die Konturlinie fast skizzenhaft geschnitten ist. Blumen und Blätter des Straußes sind im Vergleich zu früheren Schnittbildern nicht einzeln herausgeschnitten, sondern wirken fast wie eine homogene Masse. Die Fläche wird für Griebel bedeutender, die Binnenschnitte werden wesentliches Gestaltungselement und hiermit einhergehend wird die Kontur einfacher, d.h. die Linie ist weniger belebt, weist weniger Unterbrechungen auf.
Die Kunstkritik reagierte auf die neue Werkphase im Medium Scherenschnitt fast nur ablehnend. So lobte der Rezensent anlässlich der Ausstellung 1933 im Erlanger Kunstverein zwar Fritz Griebels traditionelle Porträtsilhouetten und feingliedrige figürliche Kompositionen, kritisierte jedoch seine antikisierenden Schnittbilder: „Was aber sollen jene Köpfe mit ausgeschnittenen Augenlöchern oder die groben Stilleben mit Früchten und Pokalen, Zweigen und Masken, bei denen Linie und Fläche jeglichen Lebens ermangeln?“
Fritz Griebels radikal neue Formensprache, die sich assoziativ mit dem Formenrepertoire der Antike auseinandersetzt, stieß oft auf Ablehnung, obwohl Vergleichbares zu dieser Zeit im Scherenschnitt in Deutschland nicht geschaffen wurde. Der Scherenschnitt wird bei Griebel zu einem autarken künstlerischen Ausdrucksmittel, das nichts mehr mit der laienhaften Freizeitgestaltung des 18. und späten 19. Jahrhunderts gemein hat. Es ist bis heute das Schicksal so manches Künstlers, der avantgardistisch arbeitet, von der Kunstkritik zunächst mit Argwohn betrachtet zu werden. Erschwerend für Fritz Griebel waren zudem die zeitlichen Umstände: 1933 wurde endgültig jegliche Avantgardekunst von den Nationalsozialisten liquidiert. Zudem sank allgemein das Interesse am Scherenschnitt in den späten 20er Jahren des letzen Jahrhunderts.
Trotz Repressionen seitens des Kunstbetriebs und der Kunstkritik schnitt Griebel unermüdlich für sich allein weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg revolutionierte er den Scherenschnitt sowohl inhaltlich als auch technisch weiter: Er bedruckte seine Papiere für die Scherenschnitte im handlithografischen Verfahren selbst. Hierdurch erzielte er ein feinstrukturiertes, zur Schwärze neigendes Grau. In den 1960er Jahren kam noch rotes und gelb-braunes Papier hinzu. Um 1950 begann er zudem, den Bildträger zu bearbeiten. Entweder tupfte er mit dem Pinsel farbige Flecken auf das Papier, oder er lithographierte ein solch bearbeitetes Papier in größerer Zahl.
Durch die Verbindung des Scherenschnitts mit grafischen Techniken vollzog Griebel eine Erweiterung des Mediums, die ihn in die Nähe zu Matisse rückt. Dieser verwendete in den 1930er Jahren Scherenschnitte zunächst als technisches Hilfsmittel für großformatige Arbeiten wie „La Danse“ oder „Rouge et Noir“, um seine Komposition dann in Öl auszuführen. Theoretisch hatte er sich jedoch schon 1913 mit dieser Technik, den papiers découpés, auseinandergesetzt. Als autonomes Ausdrucksmittel setzte er die papiers découpés ab den 1940er Jahren ein. Hierzu bemalte er Kartonbögen mit reiner Gouache, wobei er die Pinselspuren sichtbar ließ. Aus dem bemalten Papier schnitt Matisse dann seine Formen aus. Er kehrte quasi – wie gewissermaßen Fritz Griebel auch – malerische Prinzipien um: erst die Farbe, dann die Linie der Schere, schließlich die Komposition.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war eine christlich-abendländische Ära. In der bildenden Kunst suchte man nach Mitteln für deren Erneuerung. Man besann sich auch wieder auf die Antike, suchte aber auch nach Erneuerung durch Urformen vor und jenseits der europäischen Kultur.
In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erscheinen zudem verstärkt Symbolbücher, Reproduktionen von eiszeitlichen und afrikanischen Felsbildern als Bildbände, die Fritz Griebel fasziniert zu haben scheinen, wie Schnittbilder aus jener Zeit veranschaulichen. Viele Schnittbilder zeigen zudem Auseinandersetzungen mit den Schriften des schweizerischen Psychologen Carl Gustav Jung (1875-1961). Besonders Jungs Definition des Archetypus meint man in Griebels Scherenschnitten übersetzt zu sehen. Nach Jung sind Archetypen universell vorhandene Urbilder in der Seele aller Menschen, unabhängig von ihrer Geschichte und Kultur. Hierzu zählen Vorstellungen, Gegenstände und Lebewesen aus der Umwelt. Neben den Idolen, antikisierenden Nackten und Urzeitlichem reduzierte Griebel zudem die Darstellung zum Symbol, um die Essenz einer Form freizulegen.
Fritz Griebel glaubte an die segnende Wirkung der Bildwelt. Er war davon überzeugt, dass der Anblick eines Symbols eine Veränderung im Menschen bewirken könne:
„Man wird fragen: Aber warum diese Form? Sie ist das Ergebnis ernster Arbeit und könnte nicht so oder so anders sein. Neben all den Bildern in der Natur in ihrer Vielfältigkeit entstehen auch diese farbigen Dichtungen und schwarze Kunststücke als Begleitung oder Sinnbild von Freude und Ernst unseres Daseins. Sie wollen aufgenommen werden wie eine kleine Melodie, ein paar Blumen oder Früchte.“
Anmerkungen:
01 Manuskript der Rede anlässlich der Ernennung Fritz Griebels zum Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg im Juli 1970 von Prof. Wunibald Puchner, S.1-4, hier S.01.
02 Einen Einblick in Leben und Werk Fritz Griebels unter http://www.FritzGriebel.de
03 Die Scherenschnitte befinden sich in der grafischen Abteilung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.
04 Verlag Der Bund: Nürnberg 1922 und 1929.
05 Unter dem Begriff ‚Avantgarde‘ versteht man seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts militärisch die Vorhut, die des Feindes Anrücken erfahren und erforschen sollte; im übertragenen Sinn meint Avantgarde das Neue, das gegen das Überlieferte gesetzt wird.
06 Vgl. Antje Buchwald: Fritz Griebel und die Suche nach Harmonie und Form im Medium Scherenschnitt in: Art & Graphicmagazine, Nr. 23 (2008), S. 14-23.
07 Erlanger Tagblatt, 12. April 1933.
08 Vgl. Fritz Griebel. Scherenschnitte. Ausst.-Kat. Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg. Nürnberg 1980, S. 38.
09 Fritz Griebel (ohne Titel, Jahr). In: Albrecht Dürer Gesellschaft Nürnberg e. V. (Hg.): Aspekte eines Lebenswerkes: Fritz Griebel. Nürnberg: 1979, unpaginiert.
Neueste Kommentare