Göschen-Rößler Paula von

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Paula von

*  27.08.1875  
? 04.09.1941
Autor(in)  Ronny Willersinn
aus: Vereinszeitung SAW 19

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Die frühen Jahre im Elternhaus

Mit einem Schlag begann in dem kleinen Städtchen Rodach die Industrialisierung, als 1892 die erste Dampflok die Nebenstrecke Coburg-Rodach offiziell eröffnete. So kam zu günstigem Baugrund die gute Infrastruktur und trug sicher mit dazu bei, dass sich Max Roesler (geboren 1840) im Jahr 1893 entschloss, mit seiner Familie hierher zu ziehen und eine Feinsteingutfabrik, nach modernsten Maßstäben auf dem Reißbrett geplant, hier in kürzester Zeit zu errichten. Erfahrung hatte er dazu in den Jahren 1874 bis 1890 als Direktor der Wächtersbacher Feinsteingutfabrik genügend gesammelt.
Paula Rösler war damals 18 Jahre alt, als sie mit Eltern und Geschwistern nach Rodach kam. Interesse zur Mitarbeit im elterlichen Betrieb zeigte sie aber, im Gegensatz zu ihrer Schwester Else nicht, obwohl der Vater massiv versuchte, dieses Interesse zu wecken.
Das Klima, in dem sie aufwuchs, war sicher sehr stark geprägt von ihrem Vater, einem Menschen von großer technischer und kaufmännischer Kompetenz. Er wird als „Herrennatur“ beschrieben, im Verhältnis zu seiner Firma wie „der Kaiser in seinem Reich“. Seinen Betrieb führte er väterlich-patriarchalisch.
Sein Engagement dehnte er auch auf die örtlichen Aktivitäten und die Vereine aus und war in der Kommunalpolitik aktiv. Er erwies sich als Förderer vieler Einrichtungen und Vorhaben in Rodach. Als Sohn des Hofschauspielers Otto Roesler war ihm aber auch das Künstlerische nicht fremd. Er hatte großes Interesse für Musik und Literatur, mitunter war er solistisch als Sänger zu hören, und er dichtete, veröffentlichte sogar drei Gedichtbände.

Die Mutter, Theodore Roesler, eine offenbar sehr häusliche Frau, trat in Form von Aufsätzen über Erziehungsfragen in der Firmenzeitschrift an die Öffentlichkeit. Auch in der Malerei engagierte sie sich mit beachtlichen Ergebnissen. So mögen auch ihre künstlerischen Impulse die Tochter geprägt haben.

Künstlerischer Werdegang

Bis 1902 erhielt Paula Rösler Unterricht im Elternhaus durch Hauslehrer und trat in dieser Zeit kaum erkennbar an die Öffentlichkeit. Dann verließ sie Rodach für ein Kunststudium in München. Frauen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht an der Kunstakademie München zugelassen, und so nahm sie ihre Ausbildung an der Damen-Akademie des Münchner Künstlerinnen-Vereins auf.
Zur gleichen Zeit studierte wahrscheinlich Gabriele Münter, die später, zusammen mit Wassilij Kandinski, Mitglied der Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ wurde. Eine Studienreise nach Florenz und mindestens zwölf Wohnortwechsel prägten diese Zeit in München, die bis 1915 andauerte. Ab 1906 arbeitete Paula Rösler als freischaffende Künstlerin in München. Die verschiedensten Techniken machte sie sich zu eigen: Radierungen, Zeichnungen, Pastellzeichnungen, Tempera-Arbeiten – und eben Scherenschnitte, die sie aber erst 1914 zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentierte.


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Zur gleichen Zeit entstanden auch Dichtungen. So zeichnete sie die Illustrationen zu ihrem Gedichtband „Falter“, der 1905 erschien.

Begegnung mit Waldemar Bonsels

Dem 1880 geborenen und damit wenige Jahre jüngeren Waldemar Bonsels begegnete Paula Rösler in München und daraus entwickelten sich in vielerlei Hinsicht intensive Impulse. Bonsels war mit 17 Jahren dem Elternhaus, dem Arzt-Vater und dem Gymnasium in Kiel entflohen und durch viele Länder gereist. Paula Rösler liebte ihn unglücklich – und doch verband beide eine Jahrzehnte lange Freundschaft. Schon früh war sie von seiner schriftstellerischen Begabung überzeugt, wie sich das zum Beispiel in Briefen aus dem Jahr 1908 spiegelt, in einer Zeit bevor Bonsels 1912 mit seinem Buch um die Biene Maja zu literarischem Weltruhm gelangte. Sie unterstützte ihn mehrfach finanziell. In seinem Schwabinger Verlag erschienen ihr Gedichtband „Falter“ und danach noch weitere. 1912 fand sich in ihrem Testament der Wunsch, Bonsels ihr gesamtes Vermögen zu vererben.

Später sollten sich durch den großen literarischen und damit auch wirtschaftlichen Erfolg Bonsels und durch die schwierige finanzielle Situation von Paula Rösler die Verhältnisse umkehren. Daraus ergaben sich tragische Geschichten: Als sie sich 1920 mit der Bitte um eine Empfehlung an den Insel-Verlag noch einmal brieflich an ihn wandte, da sprach sie schon davon „dass alles Persönliche zwischen uns erloschen ist!“ und Bonsels antwortete nur sehr schleppend, förderte ihr Vorhaben nicht.

Künstlervereinigung „Die Welle“

Am 12.12.1915 verließ Paula Rösler München und zog nach Achenmühle im Chiemgau. Über Gründe dafür mag folgendes Zitat des bekannten bayrischen Schriftstellers und Feuilletonisten Josef Hofmiller in den Münchner Nachrichten Aufschluss geben: „Der Chiemgau ist ungemein malerisch, und wenn sich immer mehr Künstler in ihm dauernd ansiedeln, so ist das nur natürlich… Man begreift, dass sich Maler gerade hier niederlassen.“ Zwischen 1910 und 1920 machten sich tatsächlich immer mehr Künstler hier ansässig. Nach dem 1. Weltkrieg entstand der Chiemgauer Künstlerbund mit Ausstellungen auf der Herren- und Fraueninsel, zu dessen Mitgliedern Paula Röslers Kontakte ab mindestens 1919 verbrieft sind.

Bald aber gab es Austritte aus diesem Künstlerbund, wohl wegen unterschiedlicher Kunstauffassungen, und es kam 1921 zu dem Plan, eine neue Künstlervereinigung, „Die Welle“, zu gründen. Die Welle war keine Künstlerkolonie im eigentlichen Sinne und wurde doch oft als „Worpswede des Chiemgau“ bezeichnet. Die Mitglieder wollten sich in kein Manifest oder festes Programm einengen, sondern eine durch gemeinsames künstlerisches Wollen und gegenseitige Freundschaft zusammengehaltene Gilde sein. Die Welle bestand von 1922 – 1933 und Paula Rösler gehörte ihr als einzige Frau von Anfang an an.
Weil als Ausstellungsort die Herreninsel nicht zu bekommen war, wurde ein Holzpavillon in Stock/Prien am Chiemseeufer geplant. Hierfür sollte jedes der Mitglieder – Bernhard Klinckerfuß, Emil Thoma, Friedrich Lommel, Paul Roloff, Hermann Müller-Samerberg, Wolfgang Zeller, Rudolf Sieck, Rudolf Hause und Paula Rösler – jeweils 10.000,- DM aufbringen. Für Paula Rösler in der schon beschriebenen schwierigen Situation wurde der Betrag reduziert, und dennoch musste sie sich um ein Darlehen an Waldemar Bonsels wenden.

Am 24.6.1922 war es so weit: Der Ausstellungspavillon wurde eröffnet, und Paula Rösler, die 1926 Feodor von Goeschen heiratete und von da an Paula von Goeschen-Rösler hieß, stellte hier bis 1933 regelmäßig aus.
Während 1922 von ihren 13 ausgestellten Werken sechs Scherenschnitte und sieben Tempera-Arbeiten waren, waren in den Jahren 1924 bis 1928 alle ausgestellten Arbeiten Scherenschnitte, was auf eine besondere Wertschätzung dieser Werke durch das Publikum hindeuten mag. Im Presseecho zur jährlichen Ausstellung der Welle wurden die Scherenschnitte jedenfalls viele Male besonders gewürdigt. So zum Beispiel im Rosenheimer Anzeiger vom 10.7.1929:
„Paula von Goeschen-Röslers reizvolle Arbeiten gehören in ihrer prickelnden Eigenart zu den erfreulichsten Bildern der Ausstellung. Die Künstlerin ist in der Aufteilung der Fläche ganz große Könnerin…“
Ihre Höhepunkte fanden die Welle-Ausstellungen wohl in den Jahren 1928, als Professor Karl Hagemeister und 1929, als Max Slevogt als Gäste der Künstlervereinigung in Stock /Prien ausstellten.

Die Scherenschnitte

Mögen es nun die Prägung durch Waldemar Bonsels, dessen Buch „Himmelsvolk“ ja auch mit Scherenschnitten illustriert war, oder Begegnungen mit anderen Münchner Künstlern (vielleicht mit Rolf Hörschelmann und den Schwabinger Schattenspielen) oder ganz andere Einflüsse gewesen sein, die Paula Rösler zum Scherenschnitt anregten, – sie setzte sich jedenfalls so ausdauernd und intensiv damit auseinander, dass sie ihre ganz eigene Auffassung dieser Technik entwickelte.
Neben wenigen schwarz- weißen Arbeiten stehen viele Scherenschnitte, deren Besonderheit Farben wie warmes Braun, lichtes Ocker und tiefes Blau, eigentümlich stumpfe Farbtöne sind. 14-2Nur einmal experimentierte Paula Rösler mit Phantasieformen, ließ sich dann aber vom Künstlerkollegen Paul Roloff wieder davon abbringen.
Fast ausschließlich arbeitete sie danach an graziös stilisierten und sehr bewegten Pflanzenformen. Betrachtet man die zeitliche Abfolge, so ist zu beobachten: die Formate werden größer, die Skizzierung schärfer. Formen des Jugendstils, die ihre Zeit prägten, spiegeln sich in den Arbeiten. Man meint Einflüsse japanischer Kunstblätter zu erkennen.



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Ihr Biograf Egbert Friedrich, Bad Rodach, beschreibt sie als lebensbejahenden Menschen: „Sie nahm das Leben wie eine Philosophin, wie Diogenes im Fass. Beherrschend in ihrem Gesicht waren ihre ausdrucksvollen dunklen Augen. Sie war darauf bedacht, dass die Würde des Menschen nicht verletzt wurde. Trotz ihrer Wertschätzung von gepflegten Umgangsformen konnte sie sich über Konventionen hinwegsetzen.“
Diese eigenwillige Frau, die andauernd zu kämpfen hatte, um mit dem Lebenswerk, dem sie sich gewidmet hatte, zu überleben, erreichte zwar persönlich und in ihrer künstlerischen Entwicklung viel, aber größeren finanziellen Erfolg erlebte sie nicht. Dass der bescheidene Reichtum des Vaters durch die Kriegswirren zerrann, sie selbst in den Inflationszeiten größte Erschwernisse erlebte und auch ihre Heirat sie finanziell nicht absicherte – „Ich habe mich keineswegs in glänzende Verhältnisse hinein verheiratet!“ – all diese Widerstände konnten sie doch nicht von ihrem künstlerischen Lebensweg abbringen. Wieder und wieder vertiefte sie sich in ähnliche Motive, um gültige Ergebnisse ringend.

Eine Einschätzung von Egbert Friedrich von den drei Entwicklungsphasen
ihres Schaffens mag den Blick auf ihr Werk abrunden:

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1. Die linear betonte „Graphik mit der Schere“. Ihr Stil ist weder weich noch rhythmisierend dekorativ.  2. Das flächig gelöste Schwarz-weiß-Spiel mit der Natur. Harmonische, im Hell-Dunkel ausgewogene, linear reizvolle Motive.

3. Das „graphische Stillleben“, graphische, weil die Gestaltung des Werkes von der Zeichenkunst ausgeht; Stillleben, weil die Gegenstände und Pflanzen von der Künstlerin wirksam geordnet worden sind. Ihre Konzeption entsprach der 12-2Befreiung der Kunst von  stofflichen, gegenständlichen Bindungen, wie es das Ziel der Impressionisten war.

Ihre letzten Jahre und danach

Feodor von Goeschen war bald schwer erkrankt und verstarb 1931. Im Jahr 1932 zog Paula von Goeschen-Rösler nach Wurmsdorf bei Söllhuben, wo sie ihre letzten Jahre verbrachte und 1941 verstarb.
Nach der Ausstellung 1934 löste sich die Künstlergruppe „Die Welle“ auf, der Ausstellungspavillon wurde abgebrochen. Wohl hatte die freie kleine Künstlervereinigung in den Zeiten der Gleichschaltung des Nationalsozialismus seine Daseinsberechtigung verloren.
Die Werke von Paula von Goeschen-Rösler waren nach ihrem Tod noch in Rosenheim und im Münchner Kunstverein als Gedächtnisausstellungen zu sehen. Im Jagdschloss von Bad Rodach bei Coburg hängen ständig vier ihrer großformatigen farbigen Arbeiten und zur Fränkischen Weihnacht (so auch in diesem Jahr am 16.12.01) werden einige ihrer Werke im ehemaligen herzoglichen Jagdschloss ausgestellt.

Literatur
– „Die Welle, Kunstausstellung“, Prien 1997
– Egbert Friedrich: Paula Rösler, Rodach 1994

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