Die Zeit von 1760 bis 1860 gilt als Glanzzeit der Porträtsilhouette. Einer der berühmtesten und erfolgreichsten Silhouettenschneider war Augustin Edouart (1787-1861). Mit Vorliebe schnitt er seine Porträts „in full length“. Auch sich selber hat er so dargestellt. Edouart ist gerade dabei, eine ganzfigürliche Silhouette fertig zu stellen, das Abgeschnitz fällt schon beinah herunter. Die kleine Schere hält er mit Daumen und Zeigefinger. Ob er, wie es der Scherenschnitt zeigt, auf der schwarzen Seite des Papiers schneidet, ist fraglich. Auch Edouart hat doppelt geschnitten, dabei entstehen in der Regel zwei spiegelbildliche Originale. Bemerkenswert ist die elegante Haltung des im Stehen agierenden Silhouetteurs. Er trägt zwar keinen Hut wie die ausgeschnittene Figur, aber er trägt einen Frack und man sieht den steifen Kragen und die gestärkte Hemdbrust.
Edouart wurde in Dünkirchen geboren und hat unter Napoleon gedient. In Frankreich verarmt, ging er 1814 nach England. Hier versuchte er, mit dem Herstellen von Porträts aus Haaren und Wachs den Lebensunterhalt zu verdienen. Als ihm 1825 Freunde mechanisch hergestellte Silhouetten zeigten, nahm er Schere und Papier um zu zeigen, dass er es Freihand besser kann. Dies gilt als Beginn seiner Karriere als „Profilist“. Die Duplikate der Porträts behielt er selber. Er klebte sie in Folianten und notierte Namen, Datum, Ort, Beruf und weitere Details zur Person. 1835 spricht Edouart von 50000 von ihm geschnittenen Silhouetten. in der Abhandlung „Treatise on Silhouette Likeness“ beschreibt er nicht nur die Technik des Silhouettierens, sondern zeigt auch an Beispielen, was ihm als wesentlich erscheint.
Er sagt z. B.: „Die Hand ist sehr ausdrucksvoll. Ich achte darauf, dass Gesten und Gesichtsausdruck übereinstimmen.“ Obwohl Edouart das Wort Silhouette in die englische Sprache eingeführt hat, verwendet er vorwiegend das Wort likeness (Ähnlichkeit, Aussehen, Gestalt, Bild) Von 1839-1849 arbeitet Edouart in Amerika. Über die Sammlung der 800 von ihm geschnittenen Silhouetten im Metropolitan Museum heißt es, sie seien eine einzigartige ikonographische Dokumentation der frühkapitalistischen amerikanischen Geschäftsweit. Vielleicht gehört der beleibte Herr, der ein Blatt oder schriftliches Dokument mit beiden Händen hält, auch dazu. Seine Miene scheint selbstgefällig zufrieden. Ob er den neuesten Börsenbericht liest, weiß man nicht, aber die Säule, an der er sich anlehnt, gehört eher zu einer repräsentativen Großbank als zu einer Kirche.
Wenn vom Porträtierten gewünscht, hat Edouart die Silhouette auf die Zeichnung seiner Behausung montiert, weniger anspruchsvoll auch auf eine vorgefertigte Lithographie zeigt eine 1835 geschnittene und signierte Silhouette, montiert auf die Zeichnung eines vornehmen 1nterieurs mit Ausblick auf eine parkartige Landschaft. Dargestellt ist William Saurin, 1757 in Belfast geboren, Mitglied der irischen Regierung. Auf der Rückseite des Bildes befindet sich eine ausführliche Biografie des Dargestellten. Dessen Haltung entspricht seiner Stellung. Er hat den Arm in die Seite gestemmt (oder in die Tasche gesteckt?). Auf die Fußhaltung mit den spitzen Schuhen scheint Edouart keinen besonderen Wert gelegt zu haben, dafür umso mehr auf den Kopf, den er durch den herausgeschnittenen Kragen vom Körper abgesetzt hat. Es ist ein eher verlorenes Profil, aber man kann die Charakterisierung der Person durch Augenbrauen, Nase und den selbstbewussten Mund durchaus erkennen.
Das Schiff, mit dem Edouart 1849 nach Frankreich zurückkehren wollte, erlitt Schiffbruch. Die Passagiere wurden gerettet, auch einige der Folianten mit den Silhouetten, aber die meisten gingen verloren. Ob er deshalb das Silhouettieren aufgegeben hat, weiß man nicht. Bis zu seinem Tod 1861 lebte er in der Nähe von Calais.
Autor/in Otto Kirchner
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