* 05.04.1776 in Waiblingen
† 16.05.1829 in Stuttgart.
Autor: Julia Sedda
aus: Vereinszeitung SAW Nr. 29
Teestündchen, Lesekränzchen und Blumenstecken, das Alltagsleben der bürgerlichen Frau in den Scherenschnitten um 1800 von Luise Duttenhofer.
„… die Männer machten über Kunst, Goethe, Schiller die Unterhaltung, unter sich zwar, aber so laut und im Halbcirkel des Tisches, daß wir alle Antheil nehmen konnten; die Hausfrau nähete stille recht fleißig ihren saubern Creuzstich und mir ward als hört’ ich eine akademische Vorlesung von vielen Stimen…“1 schildert die bedeutendste deutsche Scherenschneiderin ihrer Zeit, Luise Duttenhofer (1776-1829), einen Gesellschaftsabend in einem Brief an Freunde. Die Geselligkeit, die Konversation über Kunst, Literatur und Musik, ist charakteristisch für die sich im 18. Jahrhundert formierende bürgerliche Gesellschaftsschicht.
Luise Duttenhofer hat die gehobene Stuttgarter Gesellschaft, in der sie selbst verkehrte, in ihren Scherenschnitten festgehalten. Insbesondere die Szenen des häuslichen Alltags vermitteln auf faszinierende Weise das Alltagsleben der Frau um 1800, obzwar sie nur einen kleinen Teil des mehrere hundert Scherenschnitte umfassenden Œuvres23 ausmachen. DasScherenschnittwerk ist durch ein äußerst breites Themenspektrum gekennzeichnet: Porträtsilhouetten, Landschaften, Tier- und Pflanzendar-stellungen, Chinoiserien, religiöse und mythologische Szenen, Heiligendarstellungen, Ornamente, Textillustrationen. Selten nur beschränkt sich Duttenhofer auf einen thematischen Bereich; meist beinhalten die Scherenschnitte ein komplexes Themengefüge, wo überlieferte und eigene Bildsprache nur noch schwer voneinander zu trennen sind.
Es scheint, als habe Duttenhofer immer und überall Schere und Papier zur Hand gehabt, um ihre Eindrücke unmittelbar im Scherenschnitt umzusetzen.Christiane Luise Hummel, später verheiratete Duttenhofer, wurde am 5. April 1776 in Waiblingen bei Stuttgart als Tochter einer altwürttembergischen Pfarrersfamilie geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters wächst sie geschwisterlos bei Mutter und Großmutter in Stuttgart in einem protestantisch geprägten Umfeld auf. Ein Großonkel nimmt sich der geistigen Erziehung seiner Großnichte an und fördert ihr künstlerisches Talent, indem er ihr den Unterricht bei einem Zeichenlehrer finanziert. Doch ist Luise als Tochter des Honoratiorenstandes die Kunst nur für den Hausgebrauch gestattet, nicht aber ein Studium, das ihr sehnlichster Wunsch ist, wie sie noch in hohem Alter in Briefen bedauert. 1804 heiratet sie ihren Cousin, den Kupferstecher Christian Friedrich Traugott Duttenhofer (1778 – 1846), der ebenfalls einer ehrwürdigen Pfarrersfamilie entstammt. Nach einem 18monatigen Romaufenthalt kehren sie 1806 in ihre schwäbische Heimat zurück. Friedrich Traugott arbeitet zum einen als Reproduktionsstecher und fertigt zum anderen Blätter für verschiedene Stichwerke, so z.B. für das Musée Napoleon und für das Kölner Domwerk der Brüder Boisserée.Währenddessen wird Luise vor allem vom bekannten klassizistischen Bildhauer Dannecker künstlerisch gefördert, indem sie in dessen Werkstatt und Antikensammlung zeichnen darf. Bei den Lesekränzchen des Hartmann Reinbeck’schen Hauses 3, dem damals intellektuellen Mittelpunkt Stuttgarts, begegnet sie fast allen schwäbischen Dichtern ihrer Zeit und weiteren Geistesgrößen, wie beispielsweise Jean Paul und Goethe, die dieses gastfreundliche Haus auf der Durchreise besuchen. 1828 hält sich Luise mehrere Monate in München auf, gemeinsam mit ihrem Ehemann, der einen Tochter und dem einen der beiden Söhne, die von sieben Kindern überlebt haben. Kurze Zeit nach ihrer Rückkehr nach Stuttgart stirbt sie am 16. Mai 1829.
Duttenhofer führte einen Haushalt mit Kindern, häufigen Gästen und verfügte über Personal, so dass ihr Zeit blieb, sich dem Scherenschneiden widmen zu können. Die Vielzahl der von ihr im Scherenschnitt dargestellten Frauen sind Frauen ihrer Gesellschaftsschicht. Insofern ist das abgebildete Alltagsleben vor allem das Alltagsleben der Frau des gelehrten und gehobenen Bürgertums, die sich aufgrund der höher-gestellten beruflichen Position ihres Ehemannes der Bildung widmen konnte, mit der Gelehrsamkeit jedoch nicht den Lebensunterhalt bestreiten musste. Wir sehen in erster Linie Frauen bei der Handarbeit, Frauen beim Lesen, Frauen beim Schreiben und Frauen als liebevolle Mütter.
Soweit Duttenhofer Frauen abbildet, die nicht dem Stand des Bürgertums angehören, sind sie mit Attributen ihrer Arbeit gezeigt. Beispielhaft seien drei Scherenarbeiten herausgegriffen. Wir sehen eine Frau beim Fegen, die vielleicht zu Duttenhofers Hauspersonal gehörte, ebenso wie die Frau – eine Köchin oder eine Küchenhilfe? – mit einem toten Huhn in der Hand und eine Bäuerin mit einer Mistgabel .
Diese Scherenschnitte sind schlichte Porträts der arbeitenden Frau im Unterschied zu denen, die die gebildete Frau zeigen. Eine gebildete Frau, die mit ihrem Wissen noch dazu Geld verdiente war Therese Huber (1764 – 1829), sowohl erfolgreiche Schriftstellerin als auch bedeutende Kritikerin, Tochter des berühmten Göttinger Altphilologen Heyne, in erster Ehe verheiratet mit dem bekannten Naturwissenschaftler und Weltumsegler Georg Forster, von dem sie sich trennt, um den Schweizer Schriftsteller Huber zu heiraten, mit dem sie nach Stuttgart geht.4 Hier ist sie von 1816 bis 1823 Redakteurin des Cotta´schen „Morgenblatts für gebildete Stände“ und damit die erste deutsche Frau in einer solchen Position. Duttenhofer ist ihr vermutlich im Hartmann-Reinbeck’schen Haus begegnet, wo beide Frauen nachweislich regelmäßig am Lesekränzchen teilnahmen. Sie porträtiert Therese Huber bei der für sie charakteristischen Tätigkeit, nämlich beim Schreiben. Im Unterschied zu Therese Huber sind die lesenden Frauen bei Duttenhofer keine Dichterinnen von Beruf, sondern Frauen der gehobenen Stuttgarter Kreise. Diese Scherenschnitte spiegeln eine für das 18. Jahrhundert typische Freizeitbeschäftigung wider: das Lesen. In jener Zeit bricht ein regelrechtes „Lesefieber“ aus. Das Buch widmet sich neuen Themen und Leserschichten, der literarische Markt expandiert, Lesegesellschaften werden gegründet, so eben auch das oben bereits erwähnte Lesekränzchen in Stuttgart, kurzum: es wird gelesen, was einem vor die Augen kommt. Den Scherenschnitten von Duttenhofer ist die Leseobsession der dargestellten Frauen anzumerken, die über der Lektüre das Stricken mitunter zu vergessen scheinen. Entweder muss man sich ausschließlich der Handarbeit, dem „saubern Creuzstich“, widmen oder sich eben vorlesen lassen wie Madame Bohn von ihrer Tochter am Blumentisch. Das Blumenstecken am Blumentisch oder „Jardin portaif“, dem aus Frankreich kommenden Möbelstück, war im 18. Jahrhundert ebenfalls ein beliebter Zeitvertreib der bürgerlichen Frau. Warum sollte im Rahmen dieses geselligen Beisammenseins nicht auch vorgelesen werden?
Neben dem Lesen und den Handarbeiten, pflegte die bürgerliche Frau eine weitere Beschäftigung: das Kaffee- oder Teestündchen). Der Tee, der im 17. Jahrhundert nach Europa kam und zunächst als Arzneimittel eingesetzt wurde, erreichte im folgenden Jahrhundert die europäischen Fürstenhöfe sowie adligen Kreise und bald darauf auch das Bürgertum. Der Teekonsum verbreitete sich schnell, ebenso wie der Genuss von Kaffee und Schokolade. Die geschmiedete bauchige „Theemaschine“, wie sie auch in diesem Scherenschnitt in der Mitte des Tisches aufragt, war für den Bürger erschwinglich, so dass der Teegenuss bald zu einer bürgerlichen Freizeitbeschäftigung des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurde. Mit der Familie und Gästen wurden beim geselligen Beisammensein am Teetisch oftmals nicht nur der neueste „Klatsch und Tratsch“ ausgetauscht, sondern auch literarische Neuerscheinungen diskutiert. Beispielsweise wurde der „Teetisch“ von Johanna Schopenhauer in Weimar zum Mittelpunkt literarischer Unterhaltung, an der auch Goethe regelmäßig teilnahm. Eben ein solch geselliges Stündchen des bürgerlichen Alltags hat Duttenhofer in dieser Scherenarbeit eingefangen. Wir sehen zwei Damen beim Teetrinken, und eine dritte, die einer anderen Lieblingsbeschäftigung nachgeht, nämlich dem Lesen oder genauer: dem Vorlesen in geselliger Runde.
Das Scherenbild zeigt darüber hinaus den Ideenreichtum und das künstlerische Können Duttenhofers, das beispielhaft für ihr gesamtes Œuvre steht. Mittels perspektivischer Gestaltung des Fußbodens erzeugt sie eine Räumlichkeit und überwindet dadurch die Zweidimensionalität des Scherenschnitts. Damit ist Duttenhofer die erste Künstlerin in der Geschichte der Scherenschnittkunst, die die Perspektive in die Papiertechnik einführt. Die „Bodenperspektive“ wird später von anderen Scherenkünstlern aufgegriffen, wie beispielsweise von der Stuttgarter Scherenschneiderin Luise Walther (1833-1917).5 Insofern ist dieses Blatt nicht nur aus sozialhistorischer, sondern eben auch aus kunsthistorischer Sicht interessant.
Die hier vorgestellten Scherenarbeiten zeigen lediglich einen winzigen Ausschnitt des sowohl an Umfang als auch an Qualität beeindruckenden Œuvres. Die beobachtende, immer wieder auch ironisch distanzierte Künstlerin, kommentiert ihre Umwelt und setzt sich mit ihr in den Scherenschnitten auseinander. Diese meisterhafte Leistung unterscheidet sie grundlegend von zeitgenössischen bekannten Künstlerkolleginnen, wie Adele Schopenhauer (1797-1849) oder Rosa Maria Assing (1783-1840), Schwester des Schriftstellers Karl August Varnhagen von Ense.
Duttenhofer hat in ihren Scherenbildern eine Virtuosität erreicht, die ihresgleichen sucht und das, obwohl ihr ein Malereistudium verwehrt blieb und sie als dilettantische Künstlerin allerlei Sticheleien seitens des Stuttgarter Bürgertums zu ertragen hatte, wie sie in einem Brief an eine Freundin berichtet: „… Ich passire bey aller Unwissenheit und Nichtskennerey doch für eine gelehrte Frau, […] und wo kein Grund ist, da wird das alles zum Spott bey unserm Geschlecht, die Weiber hassen und die Männer – wenns gnädig geht – verachten und verhöhnen uns. Darum bey allem was uns tief inen bewegt, beym Größten, Schönsten, Herrlichsten, ob Talent, Liebe, Freundschaft, / Nur – Still daß die Leute (Menschen?) es nicht hören wie alles dieß uns hochbeglükt!…“.6
Anmerkungen
1 Brief an Friederike Mayer vom 26.11.1828. SNM/DLA 42.873/2.
2 Das Schiller-Nationalmuseum/Deutsches Literaturarchiv in Marbach (SNM/DLA) beherbergt mit rund 1700 Schnitten die größte Sammlung der Scherenschnitte von Luise Duttenhofer. Weitere Schnitte befinden sich vor allem in Privatbesitz.
3 S. dazu Bernhard Gerlach: Die literarische Bedeutung des Hartmann-Reinbeckschen Hauses in Stuttgart, 1779-1849. Münster 1910 (Diss.)
4 Weiterführend zu Therese Huber s. Andrea Hahn/Bernhard Fischer: „Alles von mir!“ Therese Huber (1764- 1829) Schriftstellerin und Redakteurin. Marbacher Magazin 65, 1993,
5 siehe beispielsweise SAW, Nr. 24, 2004, S. 6-11.
6 Brief an Friederike und Karl Mayer vom 6.1.1828. SNM/ Nr. 32514
Anm. d. Red.: Die abgebildeten Scherenschnitte der Luise Duttenhofer stammen aus dem Archiv des Schiller-Nationalmuseum/Deutsches Literaturarchiv in Marbach. Die unten abgebildeten Bilder sind aus dem Buch „Scherenschnitte von Luise Duttenhofer“ AT Verlag, 1978, S. 45
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