Beckmann, Johanna
* 03.05.1868 in Brüssow Uckermark
? 08.02.1941 in Berlin
Autor(in) Gudrun Mohr
Vereinszeitung SAW 07 + SAW 30
Gudrun Mohr befasst sich seit längerer Zeit intensiv mit Leben und Werk Johanna Beckmanns. Im folgenden Artikel stellt sie diese Zauberin mit der Schere, unter deren Händen Pflanzen, Wichtel und Elfen zu leben begannen, vor. Sie zählt zu den bedeutendsten Buchillustratorinnen des Jugendstils.
Kunst- und Existenzfragen
Im Jahr 1904, erfolgreich auf dem Weg zu öffentlicher Anerkennung, konnte Johanna Beckmann schreiben : „Der Künstler hat Ausnahmebedingungen, man verzeiht ihn jedes Bohème …”. Allerdings musste sie selbst in diesen glücklichen Jahren über „Kunst- und Existenzfragen” – so lautete der Titel eines Aufsatzes – nachdenken, denn allein mit ihrer Kunst, ihren Talenten, bestritt sie ihren Lebensunterhalt. Das mag begründen, wenn sie weiter sagt :
„Du sollst deine Existenzfrage lösen. Man schalte das ein neben dem siebenten Gebot, denn wer es versäumt, verwechselt mein und dein… Wann ist man reich? Wenn die Ausgabe kleiner ist als die Einnahme. Wann sind wir unabhängig? Wenn wir bei bescheidensten Ansprüchen auch dann nach menschlicher Berechnung fremder Hilfe nicht bedürfen, wenn unsere Arbeitskraft versagt. Das für solche Freiheit erforderliche Geld soll verdient werden im Beruf, auch in der Kunst; aber Geld ist nicht die Wertmessung des Menschen; Geld ist nicht die Ursache des Werks… Wer Arbeit tut ohne Hingabe an sie, nur um des Lohnes willen, erniedrigt sich selbst.”1
Früh muss der Entschluss gefallen sein, unabhängig und frei das eigene Leben gestalten zu wollen. Dabei war es durchaus noch nicht allgemein üblich, sich als junge Frau zu diesem Schritt zu entschließen. Allerdings lag er im Trend der Zeit, denken wir an die Zeitgenossinnen Paula Modersohn – Becker, Käthe Kollwitz oder Elisabeth von Eicken. Zwar stand bei mancher ein vermögender Vater im Hintergrund und vielleicht den Ambitionen der Tochter wohlwollend gegenüber, dass aber Johanna Beckmann auf eine solche Vorleistung bauen konnte, ist zu bezweifeln.
Kindheit und Ausbildung
Die Künstlerin wurde am 3. Mai 1868 in Brüssow/Uckermark geboren. Ihr Vater, Wilhelm Eduard Beckmann (1837 – 1892), war Pächter oder Besitzer des Gutes Butterholz im Ort. Bald muss die Familie – oder auch die Mutter, Charlotte Marie Beckmann geb. Bergell (1836 -1920), allein mit ihren beiden Töchtern – in das mecklenburgische Städtchen Stargard, ihre Heimat, umgezogen sein. Dort besuchte Johanna wie ihre ältere Schwester Margarete die Stadtschule.
Künstlerische Neigungen oder zumindest geschickter Umgang mit einem Handwerkszeug traten bei Johanna schon frühzeitig zutage und wurden offensichtlich beachtet. Sie war gerade fünf Jahre alt, als sie eine kleine Schere geschenkt bekam und ihr die ersten Faltschnitte beigebracht wurden. Dieses Werkzeug hütete sie wie ein Amulett, eine Journalistin überlieferte anlässlich des 70. Geburtstages die Worte: „Sie ist über hundert Jahre alt – aber anfassen dürfen Sie sie nicht, die geb’ ich nie aus der Hand.”2
Wodurch ihr Talent weiter gefördert wurde, ist nicht bekannt. So ganz „ungeübt” wird Johanna Beckmann aber nicht gewesen sein, als sie im April 1886 eine Berufsausbildung in Berlin aufnahm. Wir finden sie als Schülerin an drei renommierten Kunstschulen. Sie begann an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbe-museums, wechselte kurz danach an die Königliche Kunstschule in einen Kurs bei Prof. Karl Hoffacker über und legte 1889 an der Zeichenschule des Lette-Vereins das Examen als Zeichenlehrerin ab.
Porzellanmalerin der KPM
Bereits im November 1891 nahm sie eine Tätigkeit als Gestalterin und „Silhouetten-Malerin” in der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) auf. Prof. Alexander Kips, der seit 1888 als künstlerische Direktor das Geschehen in der Manufaktur formend beeinflusste, soll auch Johanna Beckmann für die Mitarbeit gewonnen haben. Mit Alexander Kips hielt eine neue stilistische Richtung Einzug in die Ateliers der Manufaktur – der Jugendstil. Von diesem stilistischen Umbruch dürfte auch Johanna Beckmann betroffen gewesen sein, denn ihre zwanzigjährige Wirkungszeit in der KPM fällt im wesentlichen mit der von Prof. Kips zusammen. Ihre Ausbildung allerdings war noch von den Ausdrucksformen des Historismus bestimmt, der im Kunstgewerbe, in der Architektur, der Buchkunst usw. der Gründerzeit dominierte. Einige erhalten gebliebene ältere Arbeiten J. Beckmanns sprechen sowohl für die fundierte Ausbildung als auch für den Geschmack der Gründerzeit, den Johanna Beckmann mit diesem Arbeiten bediente. Es sind hauptsächlich Mustervorlagen für kunstgewerbliche Heimarbeiten, veröffentlicht in Zeitschriften wie „Daheim” und in etwas anspruchsvolleren wie „Dekorative Vorbilder”.
Glücklicherweise ist im alten Archiv der KPM noch eines von Johanna Beckmanns Grundmusterbüchern mit dreißig kleinen Blättern zu finden. Auch der Bestandskatalog „Die Jugendstil – Porzellane der KPM : Berlin 1896 – 1914”, von Irene v. Treskow, München 1971, gewährt in mehreren Tellerrand – Dekoren und zwei schönen Vasendekoren im Jugendstil einen Einblick in die gestalterischen Auffassungen, denen sich Johanna Beckmann mit diesen Arbeiten anschloss.
Einfluss des Jugendstils
Sicher dürfte sie dem Jugendstil wegen dessen Vorliebe für alles „Organische”, besonders für die Pflanzenornamentik, durchaus geneigt gewesen sein. Oder sollte – umgekehrt – Johanna Beckmann durch die besondere Stellung der floralen Stilelemente, die ein genaues Naturstudium voraussetzten, obwohl der Jugendstil keine naturgetreue Wiedergabe zuließ, zu intensiverer Naturbeobachtung hingeführt worden sein ?
Die Darstellung von Pflanzen mit lebenssymbolischer Bedeutung, beispielsweise von Bäumen in ihrer Ganzheit, also mit den Wurzel, war beliebt, drückte sich doch darin die Sehnsucht aus, „bis an die Wurzel des Lebens und der menschlichen Existenz” vordringen zu wollen.
Zu diesen Aspekten des Jugendstils dürfte sie Zugang gefunden haben, was sich – neben ihren Arbeiten für die KPM – auch an einigen buchkünstlerischen Werken nachweisen lässt. Allerdings – so ganz leicht scheint ihr der Übergang vom Historismus zu dieser so andersartigen Formenwelt des Jugendstils nicht von der Hand gegangen zu sein.
Die Neustrelitzer Heimatforscherin und Sammlerin Annalise Wagner (1903-1986), die mit Johanna Beckmann in persönlichem Kontakt stand und der wir viele wertvolle Informationen über die Künstlerin zu danken haben, übermittelte, dass es Johanna Beckmann schwer fiel, ihren „geliebten Renaissance – Akanthus” und den „ornamentalen Stil” zu verlassen.3
Buchillustrationen
Auch die anspruchvollen buchgestalterischen Vorstellungen des Jugendstils, die sich demonstrativ von der künstlerisch verflachten Massenware im Buchgeschäft der Gründerzeit abhoben, kamen offensichtlich J. Beckmanns Auffassungen entgegen. Dazu gesellten sich die Bestrebungen der Reformpädagogik jener Jahre, die u.a. der Kinderbuchillustration zu neuer Blüte verhalfen.
Der ausgebildeten Zeichenlehrerin dürfte es deshalb nicht schwer gefallen sein, sich mit solchen Zielen zu identifizieren. Johanna Beckmanns Zusammenarbeit mit dem Charlottenburger Lehrerverein spricht dafür. Dieser würdigte im Vorwort zur Ausgabe von Andersens „Märchen” (1922; 1. Aufl. 1909) nicht nur die große Leistung, welche die Künstlerin mit der Illustration der Texte durch ihre Scherenschnitte unter Beweis stellte, sondern ausdrücklich den „besonders verdienstvollen Anteil” an einer zeitgemäßen Textfassung.
Wie der Jugendstil-Künstler Otto Eckmann (1865 – 1902) entwarf Johanna Beckmann eine eigene Schrift, die sie in ihren ersten Büchern Seite für Seite mit dem Pinsel handschriftlich ausführte . Die späteren Bücher enthielten nur noch gedruckte Texte.
Um die Jahrhundertwende schloss sie sich der naturphilosophisch motivierten Tätigkeit des Gärtners und Herausgebers Max Hesdörffer an. Für seine Gartenbücher und seine Zeitschrift „Gartenwelt” zeichnete Johanna Beckmann die ganzseitigen Farbtafeln und äußert sich sogar in einigen feuilletonistischen Aufsätzen zu Zeitfragen. Durch ihre großzügig und farbenprächtig gestalteten Blütenbilder wurde sie so bekannt, dass der Blankenburger Züchter Georg Bornemann einer neuen Pelargonien-Sorte ihren Namen gab.
An Annalise Wagner schrieb Johanna Beckmann über jene Jahre : „1895/96 hatte ich Ausstellungen im Kunstsalon Schulte gehabt, war dann durch Krankheit und hauptsächlich durch meine botanischen Arbeiten mit dem Fachschriftsteller und Gärtner Max Hesdörffer vom Schattenbild abgekommen, hatte aber durch die Pflanzenstudien in der KPM mit den Pflanzen immer mehr Fühlung genommen.”4
Diese Pflanzenstudien führten sie offensichtlich weg vom „Stil” und hin zur „Natur”. Das natürliche Vorbild in ihren Scherenschnitten nachzugestalten, ihm möglichst nahe zu kommen, das wurde zu ihrem künstlerischen Credo. Aus ihrer natürlichen Umwelt, die sie im wesentlichen auf ihr Heimatstädtchen Burg Stargard reduzierte (seit der Eingemeindung des Burggeländes im Jahr 1929), schöpfte sie die Kraft zum Leben und zum Werk.
Im bereits erwähnten Brief an Annalise Wagner heißt es dazu:
„Die Schnitte entstammen wie fast alle Urbilder meiner Bücher der Heimat. Weihnachten suchte ich die winterlichen Zweige für „Muß durch”, Ostern die knospenden Bäume für den großen und kleinen Stern ( gemeint sind hier die Gestalten aus ihrem Buch „Sternlein”. Dies ist gedacht auf einem Weg, der für uns recht weit war, er führt über die Berge an der Burg vorbei zum Hagen, da steht abends der große und kleine Stern.” Bereits die Buchtitel verraten ihre Naturverbundenheit: „Natur – vom Wollen und Walten”, „Pflanzenleben”, „Wenn Frühling wird”, „Pflanze und Mensch”, „Naturgeheimnis”. Diese Bücher waren keine „Pflanzenlehren” oder Botanik – Bücher, sondern metaphorisch angelegtes Nachdenken über die großen Begriffe menschlichen Zusammenlebens wie Krieg und Frieden, Liebe, Vertrauen, Freundschaft, Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft.
Natur war für Johanna Beckmann nicht nur die Umwelt, in der sie lebte, sondern Natur war für sie Stätte der Heim- und Einkehr, der Selbstbesinnung und des Trostes.
Für sie war die Natur – und das müssen wir einfach akzeptieren – auch Begegnungsstätte mit all dem unsichtbaren Volk, welches seit Jahrtausenden in Märchen und Mythen das Leben der Völker begleitete.
In diesem „weiten Feld” sind Wichtelmännchen, Hexlein, Elfen, Nixen oder auch der Belzebub, der die Mücken erfand, zu Hause.
In diese Welt verlegte Johanna Beckmann ihre Träume und Visionen, wohl auch, um ihren harten Lebensalltag – schon bald von Krankheit und Vergessenwerden gezeichnet – zu bestehen. So wohnen in ihren zierlichen Abbildern von Blüten, Zweigen, Wurzel oder Halmen eben diese flüchtigen Wesen. Allerdings gesellen sich zu ihnen sehr irdische Kameraden: Vögel, Frösche, Schmetterlinge, Mäuse und ähnliches Getier. Anders aber als der Künstlerkollege, der Illustrator Ernst Kreidolf (1863 – 1956), welcher seine Kinderbücher mit personifizierten Pflanzen und Tieren füllte und damit eine ganze Schar von Nachahmern auf den Plan rief, blieb Johanna Beckmann meist bei der natürlichen Gestalt der Pflanzen und Tiere.Nur ausnahmsweise erhielten Radieschen und Rübchen Gesichtchen und zwei Füße, um damit durch die Welt „Von Stehmännchen und Gründlingen” zu spazieren. Ob nun ihre jungen Leser auf diesem Weg so ohne weiteres in die Welt der Phantasie „umgestiegen” sind, sei dahingestellt. Unbestritten ist, dass sich ihre kindlichen Verehrer und Bücherleser vor allem in den Märchen – Figuren wiedergefunden haben. Johanna Beckmann illustrierte bekannte Märchentexte wie „Deutsche Märchen” (Abb. 8) oder „Andersens Märchen”, Kinderreime und -gedichte.
Über die Arbeit am Illustrieren des Textes ihres Künstlerkollegen Hans Christian Andersen schrieb Johanna Beckmann : „Das war ein wohltuendes Suchen von Prinzen, Prinzesschen und Schwänen, von Bleisoldaten und Hexen, Chinesen und Schwalben und Nachtigallen”. Johanna Beckmann illustrierte Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts”, Storms „Pole Poppenspäler” und „Immensee”, Gedichte von Goethe u.a.
Für diese romantischen Erzählungen und innigen Gedichte waren die filigranen Scherenschnitte der Meisterin eine wunderbare illustrative Entsprechung.
Kinderbücher
Die Kinderbücher aber bescherten Johanna Beckmann den nachhaltigsten Erfolg (Abb. 9). Dieser beruhte in erster Linie auf den zauberhaften Scherenschnitten, mit denen sie ihre künstlerischen Vorbilder wie Paul Konweka (1840-1871) und Karl Fröhlich (1821 – 1898) überflügelte.
Aber nicht nur an die Kinder wendet sie sich mit ihren Büchern. Zwar kommt sie uns in manchen Texten – fast möchte man sagen – „der Welt entfremdet” entgegen, doch sie entpuppt sich beim genaueren Hinhören als scharfsinnige Beobachterin nicht nur der Natur, sondern ebenso des Alltags ihrer Mitmenschen. Wenn sie vom Leben der Pflanzen, der Frösche oder der Wichtel erzählt, meint sie stets das der Menschen. Diese metaphorische Sicht auf die Welt ist ein Grundzug ihrer Dichtungen. Dabei gelangen ihr oft sehr schöne, ausgefeilte Wort – Bilder, aber etliches ging ihr auch etwas „daneben”. So waren es wohl zuerst ihre zauberhaften Scherenschnitte, vielleicht erst in zweiter Linie ihre Texte, die ihren Erfolg begründeten.
1911 veröffentlichte Johanna Beckmann eine methodische Handreichung für Scherenschnittarbeiten mit dem Titel „Die Schwarze Kunst”. Hier öffnete sie die Tür zu ihrer Werkstatt weit und gestattete einen aufschlussreichen Blick hinter die Kulissen.
Und an die zukünftigen Schattenbildner gerichtet, antwortete die Meisterin auf die damals wie heute aktuelle Frage: „Wenn jemand lernt und begreift und nachher leben will durch diese Kunst, was dann ?”
1912 schied Johanna Beckmann aus der KPM aus. Ein schweres Augenleiden und offensichtlich auch Veränderungen im künstlerischen Programm der Manufaktur verursachten diesen Schritt. Indem sie ihre Scherenschnitte zu Buchillustrationen verarbeitete und später damit auch Post- und Glückwunschkarten gestaltete, versuchte sie, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Erste Weltkrieg unterbrach ihre erfolgreiche künstlerische Karriere. Dieses Schicksal teilte sie mit manch anderem Zeitgenossen. Trotz aller Bemühungen – von 1920 bis 1929 erschienen immerhin neun neue Bücher – gelang es ihr nur bedingt, an die Erfolge der Vorkriegzeit anzuknüpfen. So waren ihre letzten Lebensjahre von materieller Not gekennzeichnet. Die Zeit war diesem künstlerischen Werk nicht mehr gewogen.
Johanna Beckmann starb am 8. Februar 1941 in Berlin. Auf dem städtischen Friedhof in Burg Stargard, unter hohen Bäumen und gegenüber der geliebten Burg, wurde sie beigesetzt. Dort kann man ihre schlichte Grabstätte noch heute besuchen.
Anmerkungen:
1 Beckmann, Johanna: Kunst- und Existenzfrage. In: Ostdeutsche Monatshefte, Danzig 5 (1924) Heft 2. S. 106 ff
2 Alte Schere schuf Kunstwerke: Meisterin des Scherenschnitts erzählt, unbekannte Quelle, 1938, Zeitschriftenausriß aus dem Karbe-Wagner-Archiv, Neustrelitz
3 Wagner, Annaliese: Johanna Beckmann: Meisterin des Scherenschnitts, Neustrelitz 1972.
4 Lange, Karl: Johanna Beckmann, die Meisterin des Scherenschnitts. In: Mecklenburgische Monatshefte 9 (1933), -Rostock Heft 9. -S. 319 ff.
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