* 16.06.1882 in Erlangen
† 27.01.1955
Autor(in) Otto Kirchner
aus Vereinszeitung SAW 15
„Im Grunde mache ich nur immer wieder den Versuch, die Welt in Bildern zu deuten“
Ernst Penzoldt
Die Begabung
Er war der jüngste von vier Brüdern und hatte Angst, ob er es schaffen würde, lesen und schreiben zu lernen; er „fremdelte“ und fühlte sich fehl am Platze, doch seine Mutter sagte von ihm: „Er kann sich so gut allein beschäftigen.“
Penzoldt selber sagte im Rückblick (1952): „Vor richtigen Berufen aber hatte ich einfach Angst. Es blieb mir also schon gar nichts anderes übrig, als Künstler zu werden.“ Er besuchte nach überstandener Schule die Kunstakademien in Weimar und Kassel und wurde Bildhauer.
Der Scherenschnitt lief – wie so oft – eher nebenher, nicht unwichtig, aber doch fast als „Privatvergnügen“
Der „Krampf“ des Krieges löste sich im Schreiben: „Ich fand zuerst die Sprache wieder, die Hände waren noch ohnmächtig.“
Penzoldt lehnte es ab, künstlerische Begabungen zu trennen: „Von Doppel- oder Mehrfachbegabungen zu sprechen, ist irrtümlich. Es ist einfach Begabung. (…) Ich machte Scherenschnitte, ich modellierte, ich zeichnete, ich malte und schrieb. Das alles war mir eins, nur in anderem Material.“
Auch wenn er ab 1922 vorwiegend schrieb, war er doch sein Leben lang bildender Künstler: „Ich wußte auf einmal, daß ich nicht zwischen zwei Berufen zu wählen hatte, sondern, daß mir verhängt war, Zwiefältiges zu tun, mit den Händen und mit dem Mund zu fassen, was unbegreiflich scheint, das Leben, die Schönheit, Liebe, Freundschaft, Natur und Kreatur.“
Die Anregung zum Schneiden
Schon der Neunjährige hat Papierfiguren für ein selbstverfaßtes Theaterstück ausgeschnitten, und vom Zwölfjährigen gibt es einen erstaunlichen Scherenschnitt von den Lehrern des Erlanger Gymnasiums.
Entscheidende Anregung und Förderung scheint Penzoldt jedoch von der Scherenschneiderin Gertrud Stamm erhalten zu haben, die er 1908 beim Sommerurlaub der Familie an der Ostsee kennengelernt hat. Sie war zwei Jahre älter als Penzoldt und wollte Bildhauerin werden. Sie schrieben sich einige Jahre lang Briefe und tauschten Scherenschnitte aus.
Die Mutter hat mit den „frühen“ Scherenschnitten ein Album angelegt. Einer davon zeigt drei Figuren, die mit Mühe gegen den Wind vorankommen . Mutter und Tochter tragen eine Kapuze, so daß man ihr Profil nicht sehen kann. Der Vater hält seine Mütze und wendet den Kopf ab. Das Kind stapft allein vorne draus und stemmt sich erfolgreich gegen den Sturm.
Das Material und seine Folgen
Penzoldts Scherenschnitte sind nicht aus „normalem“ Scherenschnittpapier geschnitten, sondern aus festem Karton (> 300 g/m2), der durchgängig schwarz ist. Penzoldt spricht von dem strammen schwarzen Papier, andere nennen es „derb“.
Auch Gertrud Stamm verwendete Karton, mehr noch: beide gaben ihren Schnitten einen festen, manchmal recht breiten Boden. Avenarius schreibt dazu: „Es ist, wie bei Gertrud Stamm, so gedacht, daß man sie gegens Licht hält. Deshalb ist der Boden so stark, er dient zum Handgriff.“
So – als handfeste Figuren und nicht aufgeklebt – liegen annähernd 500 Scherenschnitte Penzoldts in den Mappen des Erlanger Stadtarchivs. 1985 hat Penzoldts Tochter Ulla den künstlerischen Nachlaß der Heimatstadt Erlangen übergeben. Der literarische Nachlaß befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
Die Dicke des Kartons erschwert Einstiche mit der Schere und verhindert komplizierte Binnenstrukturen. Man spürt die Absicht des „Bildhauers“, nur mit den Begrenzungslinien zu arbeiten. Die Wirkung der teilweise großflächig schwarzen Figuren erinnert an die „Gegenlichtsilhouetten“ von Giselher Gauhl, auch wenn dessen Motive andere sind.
Avenarius meint: „Es wird alles, was zum Eindruck wesentlich ist, aus der inneren Zeichnung in die Kontur gelegt. Er regt die Phantasie zu unbewußter Ergänzungsarbeit innerhalb der umrissenen Fläche an.“
Die Bearbeitung des Kartons mit der Schere läßt auch nur eine sparsame Auflockerung der Ränder zu, z.B. bei der Darstellung des Haars. Bemerkenswert ist, daß es Penzoldt gelingt, das Lachen der Zuschauer sichtbar zu machen.
Die Bilderschrift
In dem biographischen Text „Bildhauer oder Schriftsteller“ sagt Penzoldt von seinen Kinderbildern: „Damals waren Schrift und Bild noch eins. Auch späterhin, als ich mit der Schere allerlei Männlein, Tiere und Szenen ausschnitt, ohne Vorzeichnen aus schwarzem Papier, blieb der Charakter einer Bilderschrift deutlich erhalten.“
Beim Abschied braucht man den Titel nicht, um dem Schmerz der beiden Alten zu „lesen“:
in der Rückenlinie des vorgebeugten Vaters, der seinen in den Krieg (?) ziehenden Sohn zurückhalten will, und in der an die Wand zurückgesunkenen Mutter, die ohnmächtig zu werden scheint. Das Haus ist schwarz und leer, man spürt die Drohung, daß es ein Abschied für immer ist.
Bei dem älteren Gustav Doré kritisiert Penzoldt, daß aus der Ursprünglichkeit Kunstfertigkeit geworden sei, die nichts mehr aussage. Penzoldt geht es nie um Virtuosität, der Inhalt hat Vorrang gegenüber der Technik.
Der Kunstwart – Allerlei Humore
Nachdem Penzoldt im Kunstwart bereits als „Humorist aus Erlangen“ vorgestellt worden war, er-schien im Kunstwart Verlag 1913 eine Mappe mit 26 Scherenschnitt-Reproduktionen unter dem Tiel „Allerlei Humore“, alle mit einer Ausnahme in Originalgröße (Mappenmaße 20 x 30 cm).
Es ist eine eigenartige Mischung aus Idylle und Karikatur. Avenarius kommentiert: „Also gut, machen wir eine Scherenschnittmappe! Sie wird zwar sehr bunt, aber Ihre Persönlichkeit hält sie doch genügend zusammen.“
Zwei Beispiele sollen den „bunten“ Humor zeigen: „Heimkehr“ und „Der Berg“.
Während man durchaus witzig finden kann, daß der Berg die Menschlein von seinem Bauch hinunterschnippst wie lästiges Ungeziefer, hat man Mühe, die Heimkehr der Mutter mit ihren Kindern vom Holzsammeln lustig zu finden. Es ist eine Art schwarzer Humor.
Den Umschlag von Humor in Betroffenheit, von Idylle in Groteske, kann man auch in den Erzählungen Penzoldts finden.
Der zeitgenössische Künstler
Die Mappe „Allerlei Humore“ war maßgebend für die Aufnahme Penzoldts in „Deutsche Schatten- und Scherenbilder aus drei Jahrhunderten“, von Martin Knapp 1915 herausgegeben.
Einer der darin abgebildeten Scherenschnitte hat den Titel „Obdachlos“.
Trotz der Bögen, auf denen die Bank steht, gibt es kaum eine Perspektive. Köpfe, Körper und Beine der beiden Männer und auch die Streben der Lehne vermitteln eine Art Bewegung nach rechts, die sich noch in den Händen fortsetzt, welche über die Lehne hängen. Bank und Körper verschmelzen in einem gewaltigen Schwarz. Gegenüber dem Bankinhaber der Maria Rehsener (SAW 12) erscheinen die beiden rabiat: „Wir haben zwar kein Dach überm Kopf, aber diese Bank gehört uns!“
Der 1. Weltkrieg
Penzoldt hat an beiden Weltkriegen als Sanitäter teilgenommen. Er hat seine „Musterung“ geschnitten. Man sieht ihn die heruntergerutschte Hose festhalten, der Ellenbogen zeigt aggressiv nach hinten, während er vorne hilflos dem mit Hörrohr und gespornten Schuhen „bewaffneten“ Arzt ausgeliefert ist.
Die „Bergung“ macht aus dem Bergenden und dem Verwundeten eine nicht aufzulösende Einheit.
Penzoldt beschrieb seine Arbeit: „Blut und Blumen, wie der Krieg ist, Lachen und Traurigkeit, Tod und Leben, die Schere hats geschnitten.“ Die Themen haben sich im Krieg verändert, die realistische Darstellung ist geblieben.
Traumbilder
Außer den Bildern von der alptraumhaften Realität, gibt es „wirkliche“ Traumbilder. „Ich träumte viel“, sagte Penzoldt, „und teilte die Träume mit, als etwas Wirkliches.“ Es gibt einen Scherenschnitt, in dem Lausomobile auf den Schläfer zufahren, in einem anderen spielt die Geige auf dem verdoppelten Träumer.
Die Nase
„Der Buckel besteht aus einer knorplichten Erbmasse und ist gleichsam das Echtheitszeichen unserer Familie (…). Ich habe mir immer eine Stubsnase gewünscht, obwohl Adlernase sehr respektabel klingt.“
Man kann den „Buckel“ auf zahlreichen Selbstbildnissen bewundern.
Der Schriftsteller
1919 und 1923 fanden in Erlangen Ausstellungen mit Penzoldtschen Scherenschnitten statt; danach entstanden nur noch vereinzelt Scherenschnitte (für eine Arzneimittelfirma erfand er einen Schnupfenteufel).
Weiterhin tätig blieb der Zeichner und Illustrator. Besonders reizvoll sind die „privaten“ Produkte: Gutenachtzettel und Bilderbriefe. Bei diesen kombiniert er in souveräner Weise Bild und Schrift.
1920 hat Penzoldt Ernst Heimeran kennengelernt. Zehn Jahre jünger als Penzoldt, war er nicht im Krieg.
Penzoldt: „Er war ein Nachkriegsmensch von jener scheinbar unverschämten großartigen Freiheit und Unternehmungsfreude, einer von unbändigen, ressentimentslosen, positiven Menschen, einer von den neuen Menschen also.“
1922 ist das Gründungsjahr des Ernst Heimeran Verlags; im selben Jahr heiratet Penzoldt Heimerans Schwester Friedi. Von da an erhält der schreibende Vorrang vor dem bildenden Künstler.
Die meisten Erzählungen Penzoldts handeln von der Schönheit und der Liebe, sie sind von ganz besonderem Zauber. Oft haben sie ein tragisches Ende (Etienne und Luise, Süße Bitternis).
Überraschend war die Veröffentlichung des Schelmenromans „Die Powenzbande“ 1930, in dem die Powenze gegen die Engstirnigkeit der Stadt Mössel und ihrer Bürger kämpfen mit mehr oder weniger legalen, aber immer originellen Mitteln.
„Daß der Krieg ein Krampf sei, das war Fabians ständige Redensart, und alle Powenze, bis auf Heinrich, nannten ihn einen Schwindel.“
Die Erlebnisse als Sanitäter im 2. Weltkrieg hat Penzoldt in „Zugänge“ eindrucksvoll beschrieben. Sie wurden 1940 geschrieben, konnten jedoch erst 1947 erscheinen, nicht nur wegen der Beschreibung des Grauens, sondern auch wegen der antinationalistischen Haltung.
Mein Steckenpferd: Die Kelten
Penzoldt wurde 1951 gefragt, ob er in der Sen-dung „Steckenpferd“ etwas von sich erzählen wolle. Bevor er von seinem jüngsten Stecken-pferd, den Kelten, berichtet, fragt er: „Oder soll ich über Scherenschnitte schreiben, über diese artige, frauliche Kunst, aus schwarzem Papier mittels einer kleinen Schere aus freier Hand, also beinahe aus nichts, sozusagen aus Nacht, allerlei Figuren, Köpfe und Bäume auszuschneiden, wie ich lange Zeit in einer Art fleißig geduldigen Müßiggangs betrieben habe (….) ?“
Auch wenn uns weder das Steckenpferd gefallen will, noch die artige frauliche Kunst, die Entstehung des Scherenschnitts „beinahe aus nichts, sozusagen aus Nacht“ kann man nicht schöner beschreiben.
Anmerkungen
Ferdinand Avenarius (1856 bis 1923) gründete 1887 den „Kunstwart“, eine Halbmonatsschrift für „Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten“. Darin und im Kunstwart Verlag D.W.Callwey erschienen zahlreiche Scherenschnitt-Publikationen, u.a. von Paul Konewka, Karl Fröhlich, Elisabeth Müller, Wilhelm Repsold, Gertrud Stamm, Cecile Leo und Heinrich Wolff.
Dem Stadtarchiv Erlangen danke ich für die freundliche Genehmigung die Scherenschnitte Ernst Penzoldts zu veröffentlichen.
Weitere Informationen zu Leben und Werk von Ernst Penzoldt finden Sie unter www.ernst-penzoldt.de
Literatur
- Martin Knapp: Deutsche Schatten- und Scherenbilder, Der Gelbe Verlag, o.J. (1916)
- Kunst und Poesie, Ausstellungskatalog, Herausgeber Stadtmuseum und Stadtarchiv Erlangen, 1992, darin Erika Hoegl: Die schwarze Kunst – zu den Scherenschnitten Ernst Penzoldts
- Ernst Penzoldt: Allerlei Humore, Kunstwart Verlag D.W. Callwey, 1913
- Ulla Penzoldt/Jürgen Sandweg: Spiel mit der Schere, Insel-Bücherei Nr. 1103, 1988
- Ulla Penzoldt/Volker Michels: Leben und Werk in Texten und Bildern, insel taschenbuch 547
- Ernst Penzoldt: Gesammelte Werke, 7 Bde., Suhrkamp Verlag 1992
- Jürgen Sandweg: „Holde Finsternisse“ – Ernst Penzoldts frühe Meisterschaft in „das neue Erlangen“, Heft 73, März 1987
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