Wilhelm Müller

mller3Eine zusammenhängende Biographie war über Wilhelm Müller nie geschrieben worden. Lediglich mündlich, sowie in Form von amtlichen Registereintragungen und kurzen Zeitungsnotizen wurden Episoden aus seinem Leben überliefert.

In den Düsseldorfer Nachrichten vom 5. Juni 1929 war zu lesen: „Müllers Eltern starben früh. Sollte die Schusterei seine einzige, dürftige Erwerbsquelle bleiben? In der Krämerstraße hatte er seine Werkstatt, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel einbrachte. Aber im ,Klumpengymnasium’ schon, in der Volksschule, fiel seine starke zeichnerische Begabung auf. In der Lehre, so sagt man, habe er mit Vorliebe seltsame Gestalten aus allerlei Papier mit der Lederschere geschnitten.“

Vorübergehend, für wenige Monate, war er in der Lithographischen Anstalt von Arnz & Co, die in enger Verbindung mit der Düsseldorfer Kunstakademie stand, als Mitarbeiter tätig. Immer mehr widmete er sich dann der Silhouettenkunst.

Wilhelm Müllers damalige Adresse war die Ratinger Straße 20. Das Haus steht heute nicht mehr. Wie schade, und wie gerne hätte ich das Rad der Zeit etwas zurückgedreht. Die Tätigkeit als Silhouettenschneider wurde im Firmenschild seiner späteren künstlerischen Arbeit dargestellt. Wilhelm Müller wohnte in der Ratinger Straße im Haus von Bäckermeister Wilms, und sein Nachbar war der Schneider Zimmermann, der als 6-jähriger Junge jeden Mittag für ihn das Essen holte. Sein Botenlohn bestand dann und wann in einem Bildchen, mit dem der Junge damals nur wenig anfangen konnte. Aber er lernte dabei Müllers Lebensumstände bestens kennen und erzählte viele Jahre später davon, wie in einer Quelle aus dem Archiv des Dt. Scherenschnittvereins („Der Schuster W. Müller“, Dr. J. Schmittmann), nachzulesen ist: „Man konnte sich keine ärmlichere Wohnung als dieses Zimmer in der Mansarde vorstellen. Hier hauste er mit seinem lungenkranken Sohn“ der, soweit die Unterlagen stimmen sollten, die zauberhaften Blumenranken um Müllers Scherenschnitte anfertigte.

mller9„In einer Ecke stand ein kleiner Säulenofen, der jeden Augenblick zusammenfallen konnte, und in der anderen ein Bett, auf dem ein paar mottenzerfressene Decken lagen. Aber in der Nähe vom Fenster dann ein Sortiment der feinsten Messer und Scheren, säuberlich geordnet. Abends ging Müller dann durch die Wirtschaften und verkaufte seine Bildchen für 5 und 10 Pfennig das Stück.”
Aus eigener Erfahrung mit dieser Kunst kann ich von der Praxis her ermessen, wie unglaublich das ist, was sich hier in den verschiedensten Schattierungen dem Betrachter zeigt. Unglaublich schon der Lebensumstände wegen. Denn wie und wo entstanden diese Scherenschnitte?
Die Konzentration, eine ruhige und sichere Hand und die Phantasie für eine Fülle von Einfällen waren eigentlich hierfür die Voraussetzung, die in der eigenen ärmlichen Behausung oder in der lärmenden Umgebung einer Wirtschaft, in der er sich oft aufhielt, nicht anzutreffen war.

Kann man heute mit Bestimmtheit sagen, welche Arbeiten nun von Wilhelm Müller stammen, also Originale seiner eigenen Hand sind? Der Umstand, der das Zuordnen zu dem jeweiligen Künstler ungemein erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht, ist die fehlende Signatur. Ohne sie könnte der Scherenschnitt genauso von Karl Fröhlich stammen, der auf der Wanderschaft nach Düsseldorf kam, hier mit Müller zusammentraf und bestimmt Anregungen durch ihn erhielt. Paul Konewka gehört auch in diesen Kreis, da alle drei sich oft in ihrer Auffassung, Technik und Wahl der Objekte ähneln.
Wilhelm Müller brachte von Haus aus bereits einen scharfen Blick und eine gute Beobachtungsgabe für die Natur und für seine Umwelt mit. Von daher ist es zu verstehen, warum er es meisterhaft vermochte, Gestalten und Formen aus dem Gedächtnis in Papier nachzuschneiden.

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mller8Bei den vielen Themen, die er mit der Schere festhielt, stößt man immer wieder auf Bilder aus dem täglichen Leben. Bilder, die in ihrer liebenswerten Art Spiegelbild der damaligen Zeit, des Biedermeier sind. Im Düsseldorfer Generalanzeiger vom 3. Oktober 1886 ist festgehalten: „Die Gegenstände seiner Darstellung nahm Müller vorzugsweise aus der Natur und dem Volksleben. Wilde und zahme Tiere gab er in charakteristischen Stellungen (…) gar prächtig wieder. Komische Gesellschaftsscenen gelangen ihm vorzüglich. Es gibt Arbeiten von ihm, die durch die Lupe gesehen werden müssen und den Beschauer alsdann zu einer ähnlichen Bewunderung hinreißen, wie die Betrachtung eines Insekts unter dem Mikroskop hervorruft. Aber auch größere Sachen gingen unter seiner Schere hervor. So schnitt er mehrmals das Abendmahl nach Leonardo da Vinci’ in ansehnlichem Format.“

Selbst bei Schnitten mit der Größe von nur einigen Millimetern besticht, bei ihrer Winzigkeit, die Exaktheit und Klarheit der Technik. Vieles, was damals entstand, wurde später in alle Winde zerstreut und ist heute leider zum Teil unwiederbringlich verloren. Eine große Sammlung ist jedoch im Archiv des Stadtmuseums Düsseldorf bis heute erhalten.

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Als Müller für seine so geschickt geschnittenen Arbeiten Anerkennung fand, zog er umher und verkaufte sie in den Altstadtkneipen, die seine zweite Heimat geworden waren. Für ein Gläschen Korn, ein Glas Bier und für ein Linsengericht schuf er Kabinettstücke erlesener Silhouettenkunst, die der Wirt oft in Zahlung nahm. So machte er auf diese einfache Art für sich selber Werbung. Schon bald führten ihn daher die Düsseldorfer Adressbücher seiner Zeit als „Silhouetteur“, und keinen Hinweis mehr auf das ehrsame Schusterhandwerk. Er gehörte zu den Düsseldorfer Originalen, die in der ganzen Stadt bekannt waren.

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In den Kneipen fand ihn auch sein Gönner Theodor Löbbecke, der Stifter des Löbbecke-Museums, der ihm in seinem schönen Hause an der Schadowstr. 54 ein Zimmer einräumte.

mller10Am 27. April 1865 erlag Wilhelm Müller im städtischen Krankenhause einem Leberleiden. Wenige Tage später berichtete eine Zeitung (zitiert in einem nicht näher bezeichneten und undatierten Bericht aus dem Archiv): „Am 27.ds.Mts. starb hierselbst im städtischen Krankenhause unser Mitbürger der Ausschneider Wilhelm Müller, der in seiner Art wirklich ein Künstler war. Die Auffassungsaufgabe des schlichten Mannes (er war von Profession Schuhmacher) in betreff alles dessen, was er darstellen wollte, war wirklich bewunderungswürdig und wurde nur übertroffen durch die Fertigkeit, mit welcher er durch seine Schere auch das Verschiedenste wiederzugeben verstand. Seine Sachen sind allgemein verbreitet und haben bei Künstlern und Kunstkennern Beachtung und Anerkennung gefunden.“

 

* 07.04.1804 in Düsseldorf
gest. 27.04.1865 in Düsseldorf
Autor(in) Joachim Pfeiffer

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