Assing, Rosa Maria
* 28.05.1783 in Düsseldorf
? 22.01.1840 in Hamburg
Autor(in) Dr. Renate Schipke
Vereinszeitung SAW 06
„Du treibst die Kunst immer Höher.“ Im folgenden Beitrag schildert
Frau Dr. Renate Schipke das Wirken der Schwester des Berliner Schriftstellers und Publizisten Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858) Anfang des 19. Jahrhunderts.
Unter den Papieren des Berliner Schriftstellers und Publizisten Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858), die durch eine testamentarische Verfügung und angereichert durch den Nachlass seiner Nichte Ludmilla Assing 1880 in die Königliche Bibliothek in Berlin gelangten befindet sich eine großformatige Mappe mit Scherenschnitten.
Sie erweckte zuerst die Aufmerksamkeit des zeitweise dort tätigen Bibliothekars Joachim Kirchner, der acht Schnitte auswählte und sie ein einem heute sehr seltenen Mappenwerk, zusammen mit Ausführungen über die Scherenschnittkunst der Geschwister Rosa Maria und Karl August Varnhagen, publizierte1. Dabei stellte er fest, dass diese filigranen Gebilde von meisterhafter Gestaltung als das Werk Rosa Marias anzusehen sind, deren Kunstfertigkeit die des Bruders, der neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit als geschickter und origineller Silhouetteur galt, insbesondere in späteren Jahren bei weitem übertraf.
Inhalt der Mappe
Die Mappe enthält 21 meist großformatige Schnitte auf rosafarbenem Grund die sich durch eine außergewöhnliche Feinheit und handwerkliche Vollkommenheit auszeichnen in nachträglich angefertigte Passepartouts eingelegt. Ais Material diente schwarz glänzendes Papier. Phantasievolle Bildkompositionen und Einzelmotive bilden den Inhalt der Schnitte. Bei den Abb. l: Staatsbibliothek Berlin Varnhagen – Slg. Bildkompositionen handelt es sich um insgesamt sieben Blatter mit tropischen Landschaften, in denen uns Kamele, Affen, Krokodile, Eingeborene, Mönche unter Palmen oder anderen fremdländischen Bäumen begegnen, oder einheimische romantische Märchenlandschaften mit Schlossaltanen, Kirchenfenstern, begrüntem Mauerwerk und Fabelwesen. Ein Blatt verdient besondere Aufmerksamkeit: ein großformatiger Elfenwagen mit Blumen- und Weinranken, begleitet von zwei großen Schmetterlingen.
Er ist datiert und gibt den Namen der Künstlerin preis: Rosa Maria Assing, Hamburg 1832.
Die übrigen 14 Blätter enthalten insgesamt 22 florale Einzelmotive, die sehr kunstvoll und filigran gestaltet sind. Wir finden Heckenrosen, Eisenhut, Sumpfdotterblumen, wilde Stiefmutterchen, Kornblumen, Wein-, Stachelbeer- und Himbeerranken, Blumenkranze, -vasen und -korbe von bemerkenswerter Naturnahe, außerdem ein Vogelnest mit Jungvögeln und einem Vogelpaar auf einem blühenden Baumstück.
Die plastische, reliefähnliche Gestaltung des Bildes durch das Punktieren des Baumstammes ist hier ebenso zu beobachten wie bei den großformatigen Bildkompositionen, ein charakteristisches Merkmal der Arbeiten Rosa Marias.
Weitere Scherenschnitte fanden sich unter den Resten der Varnhagen-Sammlung2 ungeordnet und mitunter beschädigt in einem leeren Heft und zwischen Büchern und Zeitungsausschnitten. Sie sind kürzlich restauriert worden und werden nunmehr, nach Motiven geordnet, in Mappen aufbewahrt. Außerdem befinden sich in der Sammlung der Libri picturati zwei Mappen (Libr. pict. 140 und 142) mit Porträtsilhouetten und Scherenschnitten, die sicher von Varnhagen selbst angefertigt wurden.
Drei florale Schnitte sind datiert: 1. Im Mai 1803, von Hamburg. 2. Im Oktober 1804. 3. Im Winter 1804. Die Stücke gehören nicht zum eigentlichen Nachlass, sie sind 1925 und 1926 im Antiquariat Leo Liepmannsohn, Berlin, gekauft worden. Die Qualität dieser Schnitte fällt gegenüber den von Rosa Maria Assing erhaltenen Stücken deutlich ab.
Schließlich wurden in einem Band aus der Bibliothek Varnhagen zwei ursprünglich lose beiliegende florale Schnitte entdeckt, die Karl August sehr wahrscheinlich seiner Ehefrau Rahel geschenkt hatte.
Spiegel der Romantik
Nach einer vorsichtigen nachträglichen Ordnung des unter den o.g. Resten aufgefundenen Materials ergibt sich folgende Gliederung: fertige und unfertige Skizzen und Entwürfe auf beschriebenem, bedrucktem oder leerem Papier; vermutliche Vorlagen für Scherenschnitte; Kupfer aus Buchern, Zeitschriften und Zeitungen, Vignetten, Titelblatter, Titeleinfassungen, Blumenaquarelle; Materialreste, bestehend aus dem schon bekannten schwarzen glänzenden oder hellblauem Papier mit Skizzen auf der weißen Rückseite (hier auch mitunter kurze Notizen von Rosa Marias Hand); fertige und unfertige schnitte, teilweise mit pastellfarbigem Papier unterlegt. Die Schnitte sind entweder lose beiliegend oder auf rosafarbenem (bzw. gelbem) Papier aufgeklebt.
Zu zahlreichen Entwürfen sind die fertigen Schnitte vorhanden. Bei den Skizzen fand sich auch ein kleiner Zettel, auf dem die Namen Sophie, Emma, Maria, L. Uhland, G. Schwab notiert worden sind. Es handelt sich hier um Personen aus dem engeren Freundeskreis der Rosa Maria. Die aufgefundenen Schnitte sind den schon aus der Scherenschnittmappe bekannten Themenkreisen zuzuordnen: Pflanzen, Tiere, Personen, Gegenstande als Einzelmotive; Landschaften mit Personen oder Tieren als Bildkompositionen.
Die Qualität der Schnitte weist deutliche Unterschiede auf. Ein Vergleich ergibt, dass uns hier Schnitte sowohl von Varnhagen selbst als auch von seiner Schwester Rosa Maria vorliegen. Es finden sich hier zahlreiche Einzelmotive, die Rosa Maria später für ihre fertigen Bildkompositionen erneut schnitt, u.a. bei der Gestaltung des auf der Hamburger Kunstausstellung gezeigten Elfenwagens. Mitunter kann man sogar die Genese eines Motivs vom vorgezeichneten Bleistiftentwurf auf weißem Papier bis zum fertigen Schnitt verfolgen (z.B. die Darstellung eines Krokodils, das sich später in ihren exotischen Landschaften wiederfand).
Diese kleinen Miniatur-Kunstwerke spiegeln die ästhetischen Anschauungen eines bestimmten Zeitgeistes – der Romantik – wider. Das phantasievolle, traumhafte, schwebende, von der Wirklichkeit geloste Dasein und das Hinübergleiten in eine mystische Märchenwelt fand in dem zerbrechlichen und empfindlichen Material, dessen Bearbeitung besonderer Vorsicht, Geschicklichkeit und gefühlvoller Hingabe bedurfte, eine adäquate Ausdrucksmöglichkeit. Die subtile Kunst des Silhouettierens stand im 18. und frühen 19. Jahrhundert in Deutschland in den literarischen Salons und Zirkeln und an den kleineren Fürstenhöfen, beispielsweise Weimar und Darmstadt, in hoher Blüte.
Schriftliche Quellen
Zahlreiche Nachrichten in den Briefen, die in den Jahren von 1804 bis 1839 zwischen den Geschwistern Karl August und Rosa Maria gewechselt wurden, Äußerungen in Briefen des Varnhagenschen Freundeskreises, in den Rosa Maria fest eingebunden war, sowie Aufsätze, Memoiren, dichterisch umgesetzte Erlebnisse vermitteln uns detaillierte Vorstellungen von der Herstellungstechnik, von den geeigneten Werkzeugen, von der Geschicklichkeit der Silhouetteure und von der Wirkung, welche die schnitte auf das staunende Publikum ausübten. Wie eine geeignete schere beschaffen sein sollte, erfahren wir von Varnhagen selbst: „sie ist nicht allzu klein, die Spitzen sind sehr genau, die Blätter kurz und schmal, die Stangen sehr lang, sie geht außerordentlich leicht auf und zu; jede anders gebaute schere taugt nicht zum Ausschneiden, obgleich viele sich mit Unrecht an kleinere Knappscheren gewohnt haben. Diese schere ist nicht englisch, sie ist besser als alle, die ich mir in England selbst bestellt habe; Herr Wilhelm Turiet, der sein Gewölbe in Wien auf dem Graben zum englischen stahlregen hat, ist der Verfertigter, den ich allen Ausschneidern bestens empfehle“.4 Dass ihm eine derartige Schere jederzeit zur Verfügung stand und er sehr geschickt damit umgehen konnte, dafür finden sich viele Belege. Schon während seiner Hallenser Studentenzeit (1807) fand Varnhagens Fertigkeit viel Beifall.
In der Schellingschen Konditorei am Marktplatz mit Freunden sitzend und zum Ausschneiden aufgefordert, klebte Karl August die fertigen Schnitte an die Fensterscheiben und erzielte damit eine erstaunliche Wirkung: „Außen waren die Bilder kaum erblickt, als die müßige Jugend ihre Freude daran bezeigte. Dienstmadchen und Handwerker gesellten sich dazu, jede neue Figur wurde mit schreiendem Jubel begrüßt, zuletzt blieben auch die ordentlichen Leute stehen und sahen dem Spaße zu, der ganze Markt war auf dieser Seite bald ein dichtes lärmendes Geprage“5. Ais er 1808 Jean Paul Richter in Bayreuth besuchte, erinnerte er sich an folgende kleine Episode: „Ich wollte den lieben Kindern gern ein Andenken von mir zurücklassen, setzte mich daher zum Tisch und begann einige Bildchen für sie auszuschneiden. Ais Jean Paul diese kleine Kinderwelt aus Papieren ziemlich schnell vor seinen Augen entstehen sah, wurde er selber von Kindergefühlen ergriffen, mit vergnügter Lebhaftigkeit rief er seine Frau herbei, weckte seine Kinder auf, das dritte hatte sich schon an mich geschmiegt, und nun sollte ich umständlich von Allem Rechenschaft geben. Meine kleinen Arbeiten wurden von den Kindern mit Jubel aufgenommen.“6 Der Abend hatte offenbar eine nachhaltige Wirkung, denn Jean Paul schrieb am 20. März 1809 an Varnhagen: „Ihre ScheerenPlastik macht nicht bloß meinen Kindern, sondern auch meinen Freunden und mir große Freude; nur dauert mich bei dieser Zeichnungs- oder Bildungskraft zweierlei; – erstlich, daß sie nicht zu ordentlichen künstlerischen Zwecken sich einlenkt, -und zweitens Ihre Augen.“7
Den persönlichen Erinnerungen Varnhagens zufolge zeigte sich bei den Geschwistern schon sehr frühzeitig ein besonderes Talent im Umgang mit der Schere: „Ich soll nicht viel über drei Jahre alt gewesen sein als dieses Talent sich zu äußern anfing. … Bis in die Jünglingsjahre erstreckte sich … das Vergnügen nämlich nicht sowohl im Ausschneiden zu finden, als vielmehr im Gebrauch des Ausgeschnittenen … Durch Ehrgeiz und Ruhmsucht angespornt, fing ich daneben in meinem sechsten Jahre auch schon an, Blumen und Landschaften zum bloßen Zeigen und Verschenken auszuschneiden, und ich brachte diese Gabe später zu solcher Höhe, daß ich wenigstens an Feinheit und Scharfe des Gebildes sie kaum übertroffen gesehen habe. … Auch meine Schwester eignete sich dasselbe mit fast gleichem Entwicklungsgange bestens an, und übte dasselbe in eigenthümlicher Art.“8 Die knapp zwei Jahre ältere Schwester Rosa Maria besaß wohl eine Naturbegabung und überflügelte in späteren Jahren ihren Bruder bei weitem. Die Ausbildung ihres Talentes begann frühzeitig.
Ais die Familie nach erzwungener Trennung aus politischen Gründen 1796 in Hamburg wieder vereint war, schrieb Varnhagen: „Diese Stimmung der wechselseitigen Innigkeit wurde noch erhöht, als bei wieder regelmäßig angeordnetem Unterricht meine Schwester an einigen Zweigen desselben Theil nehmen mußte … und daß meine Schwester im Französischen so viel weiter war, spornte meinen Nacheifer. Nur als es mir doch nicht gelang, sie einzuholen … konnt‘ ich mich einiges Verdrusses nicht erwehren, und so war ich auch betreten, daß ein dargebotener Unterricht im Blumenzeichnen nur ihr allein zu Theil wurde, und nicht auch mir, aber mein Mißbehagen fiel keineswegs auf sie, sondern auf den Lehrer, der in diesem keineswegs gleichgültigen Bezug unsre Gemeinschaft aufhob.9
Gute Erziehung und Fähigkeiten:
Rosa Maria hatte ebenso wie ihr Bruder eine gute Erziehung und Ausbildung genossen. Sie erwarb sich einen festen, klaren Charakter, gepaart mit der Fähigkeit zum Ausgleich. Sie sprach vorzüglich Franzosisch und besaß auch bemerkenswerte Kenntnisse im Altfranzösischen. Ihre besondere Vorliebe galt der zeitgenossischen deutschen Literatur der romantischen Schule. Sie selbst versucht sich schon frühzeitig in Gedichten und Erzahlungen.10 Zu ihrem engeren Freundeskreis zahlten Heinrich Heine, Justinus Kerner, durch den sie ihren späteren Ehemann, den Königsberger Arzt David Assing, kennen lernte, ferner Adelbert von Chamisso, Jean Paul Richter, Ludwig Uhland und Gustav Schwab. Daneben war ihr die Gabe einer ungewöhnlich präzisen Naturbeobachtung zu eigen, und ihre botanischen Kenntnisse überschritten durchaus den üblichen Wissensstand.
Außerdem hatte sie sich pädagogische Kenntnisse und Fähigkeiten erworben und war nach dem Tode des Vaters (1799) für einige Zeit als Erzieherin tätig. Ihrer nach dem Zeugnis der Biographen und Freunde überaus harmonischen Ehe mit David Assing entstammten ein früh verstorbener Sohn und zwei Tochter: Ottilie und Ludmilla, die spätere Erbin des Nachlasses ihres Onkels Karl August Varnhagen. Beide Tochter liebten die Mutter und schätzten sie als vertrauenswürdige Freundin. Gemeinsam unternahmen sie in späteren Jahren zahlreiche Reisen.
Dass auch die Tochter gewisse von der Mutter geförderte künstlerische Talente besaßen, lässt sich u.a. aus den Briefen Rosa Marias an Adelbert von Chamisso (1834 – 1836) ableiten, in denen sie immer wieder den Zeichenunterricht, in dem beide Madchen Fortschritte machten, berichtete.11 Zeugnisse in Briefen Die ihr von ihrem Bruder bescheinigte und in den noch erhaltenen Arbeiten deutlich erkennbare Begabung, ungewöhnlich vollkommene Scherenschnitte anzufertigen, schien Rosa Maria erst in späteren Jahren regelmäßig genutzt zu haben. Der von ihr eigenhändig signierte Elfenwagen (Hamburg 1832) kann als Fixpunkt gelten. Nachrichten über ihre Tätigkeit liegen uns seit dem Beginn des Jahres 1833 vor.Aus den Briefen 12, die von dieser Zeit an zwischen Bruder und Schwester gewechselt wurden erfahren wir interessante und wichtige Details. Wir zitieren die Auszuge in chronologischer Reihenfolge und beginnen mit einem Brief Rosa Marias an Karl August vom 19. Januar 1833: „Ich hatte seit vielen Jahren nicht mehr ausgeschnitten, da kam mir vorigen Sommer wieder auf einmal die Lust dazu, und seitdem ist mancherlei entstanden, Blumen und Fruchte nach der Natur und Landschaften, die vielen Beifall finden. Ich wende dabei eine Art des Ausstechens an die ich früher nicht angebracht habe, und die zum Teil meine Erfindung ist; auch schneide ich die Stucke, Blumen, Baume und Figuren, einzeln aus und setze sie nachher zusammen, da die Bilder meist zu groß sind, um sie aus einem Stück zu schneiden.“ -14. Mai 1833: s. Anm. 12) -6. November 1833: Sie hatte die Schnitte Justinus Kerner in Stuttgart gezeigt. Er war ganz außer sich. „… Wer kam, dem mußten sie gezeigt werden, wenn wir ausgingen oder fuhren, mußten sie mitgenommen werden.“
In Stuttgart hatte sie auch Luise Duttenhofer, eine bekannte Silhouetteurin, kennen gelernt, derer sie in ihrem Briefe gedachte: „Sie hat einiges, was ich nicht habe, Laune, Satyre, Geschick im Silhouettieren und zur Karikatur und schone Arabesken, doch manches ihrer Art und Weise wird mir nicht schwer, mir es anzueignen. Voir c’est avoir, sagt Beranger, wogegen sie vielleicht Mühe gehabt haben würde, meine Feinheit in der Ausführung zu erreichen. Schon dadurch, daß sie alles aus doppeltem Papier schnitt, kannst du abnehmen, dass die Ausschnitte nicht sehr fein sein können, aber in Hinsicht der Zeichnung und der Idee ist manches wahrhaft geistreich und künstlerisch.“ -3. Apri11834, Varnhagen an Rosa Maria, er bezieht sich auf ihre Mitteilungen vom 19. Januar 1833: „Ich wußte mich in diese Art auszuschneiden noch nicht zu finden und konnte sie, wenn ich auch überhaupt ausschnitte, nicht nachmachen.“ -25. September 1835, Varnhagen an Rosa Maria: „Ganz besonders muß ich dir für die Schonen Ausschnitte danken, mit denen du mich aufs neue so angenehm überraschtest. Die sind ja ganz prächtig, und du treibst die Kunst immer höher.“-11. Nov. 1837 und 5. Apri11838: s. Anm. 12).
Ihre Technik
Besondere Beachtung verdienen die detaillierten Angaben über die eigens von Rosa Maria entwickelte Art des Ausstechens, um die Plastizität der Bilder zu erhöhen.
Angewendet wurde das Ausstechen (d.i. das Punktieren der Ruckseite) insbesondere bei größeren zusammenhangenden schwarzen Flachen, beispielsweise bei Baumstammen, Mauern, Wald- oder Wiesenstucken. Außerdem teilte sie mit, dass großformatige Bildkompositionen aus einzelnen fertigen Stücken zusammengesetzt worden sind, um das Zerreißen des empfindlichen Materials zu vermeiden. Die Schnitte besaßen offenbar einen erheblichen künstlerischen Wert, da ausgewählte Stucke wie erwähnt auf der 4. Hamburger Kunstausstellung, die am 29. März 1833 eröffnet wurde, gezeigt worden sind.
Von Interesse ist ihr Urteil über Luise Duttenhofer (1776-1829), die Ehefrau des Kupferstechers Christian Duttenhofer in Stuttgart, die zu den bedeutendsten deutschen Scherenschneiderinnen gehörte. Ihr Opus zeichnet sich durch einen ungewöhnlichen Reichtum an Phantasie, natürlichem Humor und Satire aus. Sie war eine Meisterin in der Darstellung von Genreszenen aus dem städtischen, ländlichen und häuslichen Milieu.13
Diese Meinung vertrat auch Rosa Maria, und sie erkannte deutlich die Unterschiede in Gestaltung und Herstellungstechnik, insbesondere die Gewohnheit der Duttenhofer, Doppelschnitte anzufertigen, wodurch naturgemäß jene bei Rosa Maria zu beobachtende außergewöhnliche Feinheit des Schnittes nicht erreicht werden konnte. Varnhagen selbst konnte trotz seiner geschickten und geübten Hand im Umgang mit der Schere das Niveau der Arbeiten seiner Schwester, die ihm eine Zeitlang wohl regelmäßig Proben ihrer Kunstfertigkeit schenkte, nicht erreichen. Er bewunderte ihr Talent und zollte ihr neidlos hohes Lob, was ihr offenbar auch innerhalb ihrer Freundeskreises zuteil wurde.
Beurteilung ihrer Kunst
Im Sommer des Jahres 1839 erkrankte Rosa Maria unerwartet. Sie konnte sich nicht mehr erholen und starb am 22. Januar 1840 in Hamburg, wohin sie nach ihrer Verheiratung gezogen war, tief betrauert von der Familie und allen Freunden. Ehrende Nachrufe und Eintrage in biographischen oder thematischen Nachschlagewerken wurden ihr zuteil, in denen neben ihren menschlichen Qualitäten immer wieder ihr geschickter Umgang mit Schere und Papier hervorgehoben worden sind. Karl Gutzkow widmete ihr einen biographischen Lebensabriss und schrieb darin: „Die damaligen ästhetischen Anschauungen blieben in ihr die vorherrschenden und wo hat sie sie schöner verherrlicht, als in den wahrhaften Kunstgebilden, die sie mit der Scheere in ihrer zarten Hand aus Papier schnitt? Es ist vielleicht nur Wenigen bekannt, dass Rosa Maria in der Kunst des Ausschneidens ihres Gleichen suchte. Ihre schönsten Gedichte sind vielleicht ihre ausgeschnittenen Arbeiten, die auf der Hamburger Kunstausstellung Bewunderung erregten. … ein höherer Genius (führte) ihre Hand, wenn sie schwarzes Papier sich zurechtlegte und daraus Blumenstucke, Scenen aus den Tropenländern, Phantasieen aus dem Reiche Titaniens schnitt. Die sinnigsten Combinationen bewahrt sie in ihrem Portefeuille auf. In allen diesen ist die romantische Anschauung vorherrschend. Unsre Dahingeschiedne war nicht blos Freundin, sondern auch Kennerin der Blumen. Ihre zarten Scheerengebilde sind nicht nach botanischen Werken, sondern nach der Natur geschnitten.“14
Gutzkow äußerte sich in seinen „Rückblicken“15 noch einmal: „Auch sie war wie ihr Bruder eine Meisterin in jenen Scherengebilden, die später Konewka16 so gefällig zu malen verstand.“ Im „Lexikon der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart“17 heißt es zu Rosa Maria: „Sie war sehr kurzsichtig, aber dabei doch in weiblichen Arbeiten fleißig und geschickt, besonders im Ausschneiden aus Papier.“ Auch in modernen Publikationen wird ihre Kunstfertigkeit betont: „Rosa Maria Varnhagen stand im Rufe einer geschickten Silhouetteurin.“18 Die technische Perfektion wird ebenfalls hervorgehoben, der Inhalt der Schnitte dagegen kritisch beurteilt: „Es gibt … ein … Mappenwerk 19… allein der Herausgeber muß zugeben, daß … kaum etwas von Varnhagen selbst, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit alles von seiner Schwester, Frau Rosa Maria Assing stammt, die dasselbe Naturtalent wie ihr Bruder war. Es handelt sich dabei meist um Märchenlandschaften, auch tropischer Art, bei denen die Technik des Ausschneidens sehr gekonnt gehandhabt erscheint und die schwarzen Objekte durchwegs, darunter sehr viele minutiös geschnittene Baume und Pflanzen, auf rosa Grund gestellt sind. Zwar ist hier die subtile Gedankenwelt bestimmter romantischer Dichtung in zarten und beflügelt erscheinenden Scherenschnitten zum Ausdruck gebracht, indes kommt das alles bei uns nicht mehr so recht an, denn es handelt sich hier um jene falsch erfundene Welt, die uns nichts mehr zu sagen hat und der gegenüber jedes Opus beispielsweise der Duttenhofer … noch immer von unverminderter Anziehungskraft ist.“20 Erwähnung findet Rosa Maria schließlich auch in der letzten Auflage des „AIlgemeinen Künstlerlexikons“.21 Hier wird sie als Silhouetteurin bezeichnet, die vorwiegend Märchenlandschaften mit floralen Motiven, auf rosa Grund gestellt, schnitt.
Mag auch zugegebenermaßen der Inhalt ihrer Bildkompositionen nicht mehr dem Zeitgeschmack und dem modernen Lebensgefühl Rechnung tragen, Bewunderung und Hochachtung aber vor der handwerklichen Leistung und präzisen Naturbeobachtung, die sich in den floralen Motiven offenbart, verlangen uns Rosa Marias Arbeiten in jedem Falle ab.
Anmerkungen:
1. Silhouetten aus dem Nachlass, von Varnhagen von Ense. Nach den in der Preußischen Staatsbibliothek befindlichen Originalen hrsg. und eingeleitet von Joachim Kirchner. Berlin (1925). – Ausgewählt wurden 8 Blätter.
Die Varnhagen-Sammlung wurde wahrend des letzten Krieges in die Benediktiner-Abtei Grussau ausgelagert und befindet sich jetzt in der Biblioteka Jagiellonska in Krakau (Polen), wo sie benutzt werden kann. Der Bestand ist in einem gedruckten Katalog verzeichnet: Ludwig Stern, Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Kgi. Bibliothek. Berlin 1911. – Die erwähnten Reste sind der Auslagerung entgangen und in Berlin im Haus Unter den Linden verblieben. Sie sind kürzlich in einem Dienstkatalog von Helga Dohn (Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz) gesondert erschlossen worden. – Sammlung Varnhagen, Nr. 100 Scherenschnitte), Nr. 101 (Reste, Vorlagen etc.).
2. Die Varnhagen-Sammlung wurde wahrend des letzten Krieges in die Benediktiner-Abtei Grussau ausgelagert und befindet sich jetzt in der Biblioteka Jagiellonska in Krakau (Polen), wo sie benutzt werden kann. Der Bestand ist in einem gedruckten Katalog verzeichnet: Ludwig Stern, Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Kgi. Bibliothek. Berlin 1911. – Die erwähnten Reste sind der Auslagerung entgangen und in Berlin im Haus Unter den Linden verblieben. Sie sind kürzlich in einem Dienstkatalog von Helga Dohn (Staatsbibliothek zu Berlin, P reußischer Kulturbesitz) gesondert erschlossen worden. – Sammlung Varnhagen, Nr. 100 Scherenschnitte), Nr. 101 (Reste, Vorlagen etc.).
3. Bibl. Varnhagen 2278 R (aus dem Besitz der Rahel Varnhagen v. Ense): Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 1794 bis 1805. T. 5. Stuttgart und Tübingen 1829. – 2 florale S chnitte (fest eingeheftet), weiß auf schwarz.
4. Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. 3. Aufl. T. 2. Leipzig 1871, S. 12-13. – Zitiert nach Kirchner, S. 6.
5. Varnhagen, Denkwürdigkeiten. 2. Aufl. 1843. T. 2, S. 36-37.
6. I.c. S. 43.
7. I.c. T. 1, S. 16-17
8. 1.c.S.207.
9. 1.c.S.207.
10. Nenien nach dem Tode Rosa Marias. Hrsg. von David Assing. Hamburg 1840. – Rosa Marias poetischer Nachlass. Hrsg. von David Assing. Hamburg 1841.
11. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Nachlass, Chamisso.
12. Berlin, ehem. Preußische Staatsbibliothek, Varnhagen-Sammlung, gegenwärtig Krakow, Biblioteka Jagiellonska. Der freundlichen Mitteilung Dr. M. Zwiercans, Krakau, vom 24.01.1995 zufolge sind die Briefe nicht mehr vollständig vorhanden. Es fehlen u.a. die für das Thema wichtigen Briefe Rosa Marias vom 14. Mai 1833 (betr. die Hamburger Kunstausstellung), van 11. November 1837 (betr. die Wirkung der Schnitte) und vom 5. April1838 (betr. die Ausführungstechnik). – Die Zitate der sonstigen Briefe sind Kirchner entnommen.
13. Biesalski, Ernst: Scherenschnitt und Schattenriß: kleine Geschichte der Silhouettenkunst München 1978, S. 49-54. – Kaschlig, Manfred: Die Schatten der Luise Duttenhafer. Eine Auswahl van 147 Scherenschnitten. Marbach 1968. (Turmahn-Bücherei. NF 10.).
14. Gesammelte Werke van Karl Gutzkaw (1811-18781 Schriftsteller). Vollst. umgearb. Aufl. Bd 6. Frankfurt a.M. 1845, S. 294-295.
15. Gutzkows Werke. Hrsg. van Peter Muller. Krit. durchges. und erläuterte Ausg. Bd 4. Leipzig und Wien (1875), S.218.
16. Paul Konewka (1840-1871 ), Silhouettenschneider und Zeichner.
17. Bd 1. Hamburg 1851, S. 108.
18. Lemberger, Ernst: Die Bildnis-Miniatur in Deutschland von 1550 bis 1850. München (1910), S. 132.
19. Vgi. Anm. 1
20. Biesalski, S. 49.
21. Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Bd 5: Ardos-Avogara. München, Leipzig 1992, S. 469.
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