Kornelia Löhrer

Keine Angst vor dem Biedermeier: Scherenschnittcollagen von Kornelia Löhrer

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Ein Spaziergang mit Kornelia Löhrer über die 12. Buchbindermesse der GEK Werkstatt Palette in  Köln: Da wird jeder Stand examiniert, kein Ballen bleibt unberührt, Blatt für Blatt wird aufgeschlagen. Besonders die billigen „Restpapiere“, von Buchbindern wenig beachtet, sind ihr begehrtes Objekt, grau und braun, knittrig, mit Einschlüssen und grober Körnung. Auch ein fein gerippter, cremefarbener Recyclingbogen der Werkstatt Maligorn aus Burgund kommt mit. Wenig strukturierte Kleisterpapiere in Dunkeltönen sind, zu Löhrers Leidwesen, kaum im Angebot.

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Mit Material, dem man die „niedere“ Herkunft ansieht (bedruckten Zementsäcken oder Brottüten, pixeligen Großplakatfotos und anderen Gebrauchspapieren) realisierte die Künstlerin ihre ersten Sihouetten, die an Biedermeier-Vorbilder erinnern. Scherenschnitte von Philipp-Otto Runge, Rosa Maria Assing, selbst die winzigen Arbeiten von Karl August Varnhagen von Ense sind Kornelia Löhrer vertraut: „Es sind scheinbar zum Verwechseln ähnliche Motive“, sagt sie selbst dazu, „aber der Reiz liegt in der Irritation, es sind moderne Figuren, in heutiger Körpersprache aufgefasst.“ Ihren Beitrag zur „Kunstmeile Longerich“ 2010 kommentierte Jürgen Kisters, Kunstkritiker des Kölner Stadt-Anzeigers, mit den Worten, sie ließe „aus Packpapier ein zartes Gefühl für den Menschen wachsen“.

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Dort im Kölner Norden ist sie geboren und aufgewachsen. Studiert hat sie 1979 bis 1986 Gestaltungstechnik in Wuppertal, unter anderem bei Siegfried Maser und Bazon Brock. Damit gingen berufspraktische Erfahrungen im Bereich Ausstattung des WDR und als Schauwerbegestalterin einher. Körper-, zumal Frauenbilder haben sie seit jeher fasziniert. Zugleich entstanden textile Zeichnungen, Pflanzenbilder und Collagen mit Stoff und Gips auf Leinwand. In Sommerkursen bei Harald Nägeli, dem oft verkannten „Minimal“-Sgraffito-Künstler, ergänzte sie ihre Technik um winzige Formate und meditative Striche auf Seiden- und Japanpapier. Heute ist sie Lehrerin für visuelle Kommunikation am Richard-Riemerschmid-Kolleg in Köln und wirkt in einer Prüfkommission der Handelskammer mit. Sie kennt sich in typographischen Feinheiten der Buchgestaltung ebenso aus wie in den Programmiersprachen des Internet. Aktuelle Schnitte und theoretische Überlegungen stellt sie in einem Blog unter der Adresse http://kornelias-scherenschnitte.eklablog.fr zur Diskussion.

Bei ihren frühen Scherenschnitt-Arbeiten ließ sie sich von den im Frühjahr 2008 im Rollettmuseum zu Baden bei Wien gezeigten „Badener Silhouetten“ des Moritz von Schwindt leiten. „Wie in diesen historischen Scherenschnitten ist das Papier bei mir häufig nicht rein schwarz oder weiß“, erklärt Kornelia Löhrer, „sondern weist Strukturen, Störungen, Nuancen auf, die einerseits von der klaren Kontur ablenken, andererseits die Figur zu verlebendigen imstande sind.“

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Inzwischen könnte sie Hermann Rollets Gartenhaus mit einer  ähnlichen Galerie skurriler Zeitgenossen ausstatten. Nur geben sie sich bei Löhrer so, wie man ihnen in der modernen Erlebniswelt begegnet: mit untergeklemmten Handtaschen, blätternd auf der Wartebank, sportlich  vorüberjoggend oder handytelefonierend, mit Rucksäcken, Kapuzenjacken und Rollbrettern. ‚Stadtpark-Schnipsel‘ heißt diese Serie, weil Löhrer die meisten ihrer Modelle im Freien entdeckt. Ausgestellt wurde sie zuerst 2009 in einem Weinrestaurant in Bad Münster am Stein. Im nächsten Sommer werden vor allem ihre Silhouettenkinder, kombiniert mit überdimensionalen Pflanzenmotiven, im altertümlichen Torhaus der Kölner Flora einziehen.

Malen mit Papier, das hat sich die Künstlerin zum Ziel gesetzt. Streng grafisch wird hier durch malerischen Einsatz widersprüchlicher Materialien in Collagetechnik überblendet, konterkariert und gebrochen. Anders als im Typenarsenal der Schwindtschen Karikaturen, das noch der Commedia  dell‘Arte verpflichtet war, müssen Kornelia Löhrers silhouettierte Gestalten nichts Allegorisches, über sie Hinausweisendes, nichts Idyllisches oder Komisches verkörpern. Sie steigen, je nach Alter, forsch oder beschwerlich die Stufen einer Treppe hinauf, beugen sich über Fahrpläne und Kinderwagen, ziehen stolze Hunde oder fliegende Ballons hinter sich her, suchen schwermütig oder fröhlich ins Spiel versunken den Heimweg. Und sie stehen ganz für sich selbst ein; fast kann der aufmerksame Betrachter hören, worüber sie sprechen, wenn mehrere gruppiert sind, oder auch die Einsamkeit fühlen, der Menschen im öffentlichen Raum ausgesetzt sind. Wir nehmen Anteil an ihnen, weil wir ihre Zugehörigkeit zum Leben spüren.

„Meister Abraham verstand sich darauf, Kartonblätter so zuzuschneiden, daß, fand man auch aus dem Gewirre durchschnittner Flecke nicht das mindeste deutlich heraus, doch, hielt man Licht hinter das Blatt, in den auf die Wand geworfenen Schatten, sich die seltsamsten Gestalten in allerlei Gruppen bildeten.“

E. Th. A. Hoffmann, Lebens-Ansichten des Katers Murr (1820)

„Bei der ganzen Sache ist nun nichts zu beklagen, als daß der Verfasser… etwas davon herauspolterte, wie er seit Jahren Papiere aller Art zusammentrage, Herrenpapier und  Kartaunenpapier, Trauerpapier mit vergoldetem Schnitte und Staatspapier und Stempelpapier, um alles zurechtzuschneiden und zu leimen zu einem außerordentlichen Papierdrachen, den er als eine Spielsache gegen das elektrische Gewölke wolle zum Scherze, zum Untersuchen und zum Ableiten steigen lassen, wenn der rechte Wind dazu bliese.“

Jean Paul, Der Komet oder Nikolaus Marggraff (1820)

 

Autor(in) Nikolaus Gatter

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