Annemarie Joneck
Autor(in) Joachim Pfeiffer
SAW 13
„In dem Ofen glüht es noch – Ruff!! – damit ins Ofenloch!“ so heißt es bei Wilhelm Busch im 6.Streich von Max und Moritz.
Die Taten der Beiden reizten Annemarie Joneck so, dass sie diese Geschichten in die Schwarz-Weiß-Technik umsetzte. Der hier abgebildete Scherenschnitt war die erste Arbeit, die ich von ihr sah: Von dem Moment an war mir klar, dass ich noch mehr von ihren geschnittenen Ideen sehen wollte.
Schon hier zeigten sich einige Merkmale ihrer Technik, auf die ich später noch oft stieß: Einmal die Vereinfachung der Form auf das Wesentliche und dann die geschickte Verteilung der schwarzen und weißen Flächen, die teilweise einen fast holzschnittartigen Eindruck vermitteln.
Zu dieser Zeit (1997) wurde eine umfangreiche Ausstellung mit ihren Arbeiten in der Stadtbücherei Rath, einem Stadtteil von Düsseldorf, geplant. Bei den Vorarbeiten und Besprechungen ahnte ich damals noch nicht, welche fast überquellende Fülle von Themen, Formen und Einfällen auf uns warteten! Doch zunächst einige Fakten über den Werdegang der Künstlerin:Als Dritte von insgesamt fünf Brüdern und fünf Schwestern ist es kein Wunder, wenn sie sagte, dass es in ihrer Familie stellenweise mehr als turbulent zuging. Den Anfang ihrer „Schneidekarriere“ muss man vielleicht in ihrer Kindheit suchen:
„Meine Eltern hielten mich für ein eigenartiges Kind“, sagt sie, „am liebsten saß ich an der Fensterbank, weil es dort am hellsten war. Papier, Schere und Bleistift zählten zu meinen bevorzugten Beschäftigungswerkzeugen. Es fiel meiner Mutter schon früh auf, dass ich bereits mit drei Jahren geschickt mit einer spitzen Schere umgehen konnte.
In meiner Familie wurde damals nie danach gefragt, welchen Beruf ich einmal erlernen sollte (oder wollte?). Mein Vater war der unumstößlichen Ansicht, dass die Mädchen heiraten und die Jungen einen Beruf erlernen sollten! So wurde ich immer zu Hause gebraucht, konnte oft nicht in die Schule gehen, da ich meine teilweise völlig überforderte Mutter, wenn sie krank war, bei der Kindererziehung vertreten musste.“
Aber dann überredete ihre Mutter sie doch, einen sozialen Beruf zu erlernen, denn ihr eigentlicher Wunsch, Grafikerin zu werden, schien unerfüllbar. So arbeitete sie zunächst als orthopädische Krankenschwester, dann in einem Düsseldorfer Kaufhaus, wo sie als Dekorateurin für Preisschilder und Plakate zuständig war. Später war sie in einer wissenschaftlichen Bibliothek tätig.
Dann kam die Pensionierung und die Überlegung, wie sie den neuen Lebensabschnitt, die Fülle von Zeit und Ruhe, ausfüllen konnte. Und plötzlich erinnerte sie sich an das frühere Hobby der Kindheit und fing wieder an zu schneiden, zu zeichnen und entdeckte dabei immer neue Möglichkeiten. Da sie mit der Schere oft nicht so schnell schneiden konnte, wie sie es bei den vielen Ideen gerne gehabt hätte, benutzte sie nun hauptsächlich das Messer, und dabei ist sie bis heute auch geblieben.
Die Welt der Märchen gehört zu einem Themenkreis, aus dem sie viele Anregungen schöpft. Beispiele hierfür sind die rührende Geschichte von dem kleinen Mädchen mit den Schwefel-hölzchen oder der kleine Muck aus dem Hauff’schen Märchen. Bei dem vignettenartigen Schnitt des Knusperhäuschens ist der märchenhafte Eindruck noch stärker herausgearbeitet. Gerade beim Vergleich dieser drei Illustrationen wird die Verschiedenartigkeit ihrer Bildauffassung besonders deutlich.
Der Vogel sitzt wohl nicht zu seinem Vergnügen in der Wiese: Er hat entweder einen nahenden Feind erspäht oder möglicherweise einen Wurm, den er gleich verspeisen wird.
Derwisch. Entwurfszeichnung und danach ausgeführter Scherenschnitt – Alle hier abgebildeten Scherenschnitte sind in den Jahren1998 und 1999 entstanden.
Nun ein völlig anderes Bild, das als Vignette für ein orientalisches Märchen gedacht sein könnte: Der bettelnde Derwisch („Derwisch“, aus dem Persischen, bedeutet wörtlich übersetzt „Bettler“), der durch seine bittende Gebärde eine Gabe erhofft. Die danebenstehende Skizze für diesen Scherenschnitt zeigt einen Teil der Vorarbeit. Die Vorplanung dazu beginnt im Kopf, zunächst mit einem vagen Bild, dann folgt die erste Skizze, die aber während des Schneidens oft noch verändert wird. Warum der Schnitt dann so und nicht anders aussieht, weiß Frau Joneck oft gar nicht. Irgendetwas treibt sie einfach dazu, sagt sie selbst.
Ihre scheinbar unerschöpfliche Phantasie bringt immer neue Blüten hervor. Dabei kennt sie genau ihre Grenzen und weiß gefühlsmäßig, was schneidbar ist und was nicht.
Annemarie Joneck ist eine lebhafte Frau, die, wenn eine bestimmte Idee sie beschäftigt, in ihrer Arbeitswut kaum zu bremsen ist. Sie liebt ihre Welt, ihre Arbeit. Bei dem bisher gezeigten Tatendrang kann man auch in der Zukunft bestimmt noch vieles von ihr erwarten.
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