Autor(in) Hans Georg Baumeister
Geb. 29.10.1767 in Bonn
Gest. 10.10.1841 in Bangstede bei Aurich
Zwei Scherenschnitte des Wanderkünstlers “ Silhouetteur Caspar Dilly aus Bonn”
aus Deppendorf im Ravensberger Land
“Dieses Bild hing schon in meinem Kinderzimmer in Berlin” verriet mir Heinz Baumeister, – ein weitläufiger Verwandter –, kurz bevor er in ein Altenheim zog und mir dieses Bild zum Abschied schenkte. “Es stammt aus meiner Familie, aber ich kann nicht sagen, wer da abgebildet ist.” Diese Aussage von ihm und die Anmut des Bildes weckten meinen Forschergeist. Nach langen und erfolglosen Recherchen in Kirchenbüchern kam mir der Zufall zu Hilfe. In der alten Bibel der Müllerfamilie Gerhard Henrich Baumeister aus Deppendorf (heute zusammen mit Niederdornberg ein Stadtteil von Bielefeld), die ich auch von Heinz Baumeister geerbt hatte, wurde ich fündig. Mit liebevollen Worten hatte Gerhard Henrich B. (1749-1827) dort die Daten seiner großen Familie festgehalten, und zu meiner Freude stimmten sie mit den auf dem Scherenschnitt abgebildeten und nummerierten Personen überein. So war nun auch eine kulturhistorische Betrachtung des Bildes möglich. Die farbig gefassten Silhouetten dokumentieren Kleidung und Schmuck der Ravensberger Tracht aus einer Zeit, zu der bis dahin nichts Vergleichbares vorhanden war. Erst fünzig Jahre später wurde die sich schon weitgehend veränderte Tracht erstmals fotografisch festgehalten.
Vergleichbares fand ich vor ein paar Jahren auf dem Nachbarhof des Gerhard Henrich Baumeister. Dort entdeckte ich durch Zufall ein zweites Dilly-Werk. Es hatte über viele Jahrzehnte unbeachtet in einer Truhe gelegen und zeigt die Familie eines Bruders von Gerhard Henrich. Der “Commerciant“ Caspar Henrich Baumeister, genannt Reckert, mit seiner Frau, Tochter, Schwiegersohn und Enkelkindern in der “Guten Stube” sitzend, umgeben von allen Errungenschaften der damaligen Zeit. Neben feinem Porzellan, dem Spinett und dem Hund des Hauses hatte Dilly auch als Wandbild* seine Begrüßung durch den Hausherrn auf dem Hof festgehalten. Die geschnittenen Figuren auf diesem “Bild im Bild” sind 25mm hoch. Den ebenfalls ausgeschnittenen und aufgeklebten Rokoko-Spiegel, der an der Wand hängt, fand ich bei einem späteren Besuch im Original im Kuhstall des Bauernhofes. Er hatte die gut 200 Jahre – mehrfach übermalt – einigermaßen heil überlebt.
Beide Scherenschnitte sind im Jahr 1805 gefertigt. Möglicherweise hat Caspar Dilly mit in den Familien gelebt, denn die Personen sind in ihrer Anordnung so dargestellt, als hätte er sie lange beobachtet. Fast hat man den Eindruck, den Charakter und die Familiensituation zu erkennen. Die feinen Perlenschnüre, die die Familienmitglieder auf dem ersten Bild miteinander verbinden, sind alle geschnitten und auch das Grab eines verstorbenen Kindes ist mit einbezogen. Das kleine Bild auf dem Obelisk ist das einzige Selbstportrait des Künstlers.
Dass es im Ravensberger Land wohlhabende Bauern gab, ist dem fruchtbaren Boden dieser Region zu verdanken. Prächtige Fachwerkhäuser mit aufwändiger Innenausstattung zeugen noch heute von diesem Reichtum. Dieser Wohlstand um 1800 ist nur selten in bildlicher Form festgehalten worden. So sind die überlieferten Bilder des Wanderkünstlers Caspar Dilly seltene Zeugnisse dieser Zeit. Dass nicht mehr Scherenschnitte erhalten geblieben sind, verwundert schon. Hat Dilly in dieser Region nur kurz geweilt, oder sind seine Bilder verloren gegangen?
Nach seinem Aufenthalt bei den Baumeisters in Deppendorf verliert sich seine Spur, und erst um 1815 taucht Dilly im Oldenburger Münsterland wieder auf. Später hat er bis zu seinem Tod im Jahr 1841 in Ostfriesland gewirkt, viele seiner Arbeiten aus dieser Region sind erhalten geblieben. Dem ehemaligen Leiter des Freilichtmuseums Cloppenburg, Helmut Ottenjann, ist die Aufarbeitung des Werkes von Caspar Dilly zu verdanken. In seinem 1998 erschienenen Buch sind fast alle Arbeiten Dillys ausführlich beschrieben.
Quellen:
Helmut Ottenjann: Der Silhouetteur Caspar Dilly. Familienbilder der Landbevölkerung 1805-1841. Cloppenburg 1998. Lutz Volmer 2011: Von der westphälischen ländlichen Bauart : Hausbau in Ravensberg zwischen 1700 und 1870.
Schriften des LWL-Freilichtmuseums Detmold, Westfälisches Landesmuseum für Volkskunde, Essen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Caspar_Dilly
* Heinrich Stiewe, Freilichtmuseum Detmold, schrieb zu diesem Bild im Bild: Der Hof in Deppendorf ist durchaus landschaftstypisch und auch ansehnlich – nur hat Dilly vermutlich die Länge des Hauses und die Dachfläche in seiner Darstellung stark reduziert. Zu sehen ist die Seitenansicht eines Ravensberger Hallenhauses des späten 18. oder frühen 19. Jhs.: Wirtschaftsteil mit Stallvorbau, Fenstern und Stallklappe rechts, Flett mit Seitentür in der Mitte, Kammerfach mit „Ausstich“ (seitl. Erweiterung unter Pultdach) links, dessen Fachwerk anscheinend weiß überkälkt oder verputzt ist.
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