Ana Strika

„An einem regnerischen Tag des Jahres 1919, in einer Stadt am Rhein, fiel mir auf, mit welcher Besessenheit mein irritiertes Auge an den Seiten eines Bilderkataloges haftete, in dem Gegenstände zur anthropologischen, mikroskopischen, psychologischen, mineralogischen und paläontologischen Veranschaulichung abgebildet waren. Dort standen Bildelemente nebeneinander, die einander so fremd waren, dass gerade die Sinnlosigkeit dieses Nebeneinanders eine plötzliche Verschärfung der visionären Kräfte in mir verursachte, und eine halluzinierende Folge widersprüchlicher […] Bilder wachgerufen wurde […].“

Max Ernst: Jenseits der Malerei (1936)

 

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Seit ihrer Diplomarbeit 2006 an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich sorgt die 26-jährige Ana Strika für neuen Wirbel im Kunstbetrieb. Nicht nur, weil sie ihre Ideen mittels des Scherenschnitts visualisiert, sondern auch, weil sie einen gänzlich neuen Zugang zu dieser alten Technik gefunden hat. Ausgangspunkt ihrer multimedialen Installationen sind Papierbahnen mit Schnittzeichnungen. Auf vier unterschiedlichen Verfahrensweisen bildet sie hierbei ihre Traumwelten ab. Die Arbeit „Bei 30 Grad im Schatten“ (2006), für die Ana Strika sowohl den Förderpreis ihrer Hochschule als auch den Start Point Preis als beste Absolventenarbeit europäischer Kunstakademien erhielt, zeigt eine von der Decke herabfallende überdimensionierte weiße Papierbahn in einem ehemaligen Kühlraum einer stillgelegten Fabrik. Scharfes Licht strahlt die Schnittzeichnungen an, so dass sich das weiße Lichtbild in ein schwarzes Schattenbild an den Wänden transformiert. Während das Lichtbild schwarze Binnenschnitte aufweist, kehrt sich dieses Phänomen beim Schattenbild um. Ergänzt wird die Installation durch eine polyphone, an mehreren Stellen im Raum erklingende Klangmontage „Nachtgestrika“. Sie ist aus drei Elementen zusammengesetzt: kurze Traumerzählungen, von denen ein Teil von der Künstlerin gesammelt werden, zwanzig, getrennt voneinander aufgenommenen Stimmen, die das Chanson von Hildegard Knef „Die Welt ging unter am Zürichsee“ (bei 30 Grad im Schatten) summen, die nachträglich zu einem Chor zusammengefügt wurden sowie verschiedene Alltagsgeräusche wie Hundebellen, Schritte im Sand usw.

06ana strika bei 30 grad_gesamtIn der Installation „Um die eigene Achse“ (2006) oder „Please,Turn Over!“ (2007) sind die Papierbahnen zu einem Zylinder geformt, der, an der Decke an einem Motor befestigt, frei im Raum schwebt, so dass sich der Zylinder bei Luftzug bewegen kann. In dem Zylinder befinden sich ein sich drehender Spiegel und eine Lichtquelle. Sie befindet sich bei diesen Installationen aussen, so dass an zwei Stellen im Raum ein bewegtes Bild entsteht. Auch hier kommt eine Klangmontage zum Einsatz. Wesentlicher Unterschied zu der vorher beschriebenen Arbeit besteht in der Animation der Schattenbilder. Diese Installation erinnert an so genannte Schattenlampen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Lampen wirft die Schattenlampe sowohl Licht als auch Schatten. Bekannt sind solche Lampen für Kinder, die ihnen die Angst vor der Dunkelheit nehmen sollen, indem sie sich bewegende Schatten in Form von Figuren an die Wand zaubern und gleichzeitig Licht spenden.

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03installationAna Strikas Scherenschnitt-Zylinder scheinen auf dieses Kinderspielzeug anzuspielen. Die Schattenbilder, materialisierte Träume, Erinnerungen oder Imaginationen, evozieren Beruhigendes und Bedrohliches zugleich. Das Prinzip der Bewegung wird in der Installation „180 Grad“ (2007) oder „Ohne Titel“ (2007) variiert, indem sich nun die Papierbahnen bewegen. Im Gegensatz zu den Schereschnitt-Zylindern evozieren sie keine Assoziation an eine filmische Endlosschleife, sondern erinnern durch das Spiel von Sichtbarwerden und Verschwinden der Schattenwelt an Gedanken, die der Träumende erhaschen will – und doch nicht fassen kann. Schließlich reduziert Ana Strika in der Arbeit „Fünf Seiten Tief“ (2007) die Materialität des Papiers auf sein Minimum. Auf fünf hintereinander gehängten Papierbahnen schneidet sie geradezu plastisch ihre Figurationen aus, nur mit dünnen Papierstegen verbunden.

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04ana strika schatten2Mittels des Hintereinanderstaffelns der Papierbahnen entsteht der Eindruck von Tiefe, von Dreidimensionalität, nicht zuletzt durch die Verdoppelung der Schnittzeichungen als Schattenbilder. Weiterer Unterschied zu anderen Installationen ist, dass sich hier nicht die Papierbahnen bewegen, sondern die Lichtquelle, d.h. zwei auf einem sich drehenden Mechanismus befestigte Spiegel rotieren an der Wand und werden von einem Scheinwerfer angestrahlt. Auch hier setzt die Künstlerin ihre Klangkomposition erweiternd zum Werk ein. Inhaltlich steht das Werk Ana Strikas in der Tradition des Surrealismus. Diese Avantgardebewegung versuchte das Unwirkliche, Traumhafte, die Tiefen des Unterbewusstseins für Literatur und bildende Kunst auszuloten. Scheinbar nicht miteinander verwandte Dinge werden in Beziehung gesetzt. So kommen in Strikas Motivwelt Stadtansichten, ein großer Fuß, eine riesige Krabbe mit chinesischen Essstäbchen usw. vor sowie Textfragmente, die an die surrealistische Methode der écriture automatique (automatisches Schreiben) erinnern, bei der das Bewusstsein während des Schreibens ausgeschaltet sein sollte. Ana Strika nimmt den Betrachter mit auf eine Reise – eine Reise quer durch ihre innere Welt, in der es von Träumen, Erinnerungen, Assoziationen wimmelt. Denn es gibt noch eine Welt hinter den Fakten – eine Welt der Imagination.

Ausstellungen:
Ego Documents. Das Autobiografische in der Gegenwartskunst. Kunstmuseum Bern. 13.11.2008-15.2.2009. http//www.kunstmuseumbern.ch Caravan – Ausstellungsreihe für junge Kunst: Ana Strika. Aargauer Kunsthaus. 06.12.2008-04.01.2009. http//www.ag.ch/kunsthaus

Ein Interview der Künstlerin, untermalt von ihrer Klanginstallation, ist hörbar unter http://www.lora.ch.events/nachtschichten2006

Homepage: http://old.likeyou.com/anastrika/

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