von Dorina Kasten
In Deutschland wurde im 17. Jahrhundert damit begonnen, Figuren und barocke Ornamente aus weißem Papier zu schneiden und auf dunklen Untergrund zu kleben. Auch die so genannten „Spitzenschnitte“ waren in Gedenkblättern und Alben sehr beliebt. Sie wurden von Laien kunstvoll gestaltet und verlangten schon eine gewisse Fingerfertigkeit. Neben der Schere waren oftmals auch Nadel, Punze und Stichel in Gebrauch, um Feinarbeiten auszuführen.
In das Kulturhistorische Museum Stralsund kam 1924 ein interessanter Scherenschnitt, der aus dem Jahre 1700 stammt und damit der älteste Weißschnitt im Bestand ist. Es handelt sich offensichtlich um die Arbeit anlässlich einer Hochzeit.
Neben den Dilettanten gab es auch Silhouetteure, die die Ausschneidekunst gewerbsmäßig betrieben. Oftmals kamen sie aus der Gilde der Miniatur- und Porträtmaler. Während sich diese in Stralsund noch Anfang des 18. Jahrhunderts als „Contrafeyer“ der Malerzunft angeschlossen haben, zogen die Silhouetteure von Stadt zu Stadt frei umher und boten ihre Dienste in Annoncen an. Sesshafte Künstler oder gar eine entsprechende Zunft konnte für unsere Stadt bisher nicht nachgewiesen werden. In der Stralsunder Zeitung vom 26. Januar 1790 findet sich bspw. folgende Anzeige:
„Der Silhouetteur Herwig reist heute nach Bergen auf Rügen, wo er sich eine kurze Zeit aufhalten wird. Er empfiehlt sich allen resp. Herrschaften daselbst und in der Gegend zur Verfertigung aller Arten Silhouetts nach neuestem Geschmack. Die Silhouette einer Person im Brustbild mit Einfassungen von ganz neuer Erfindung wird für einen Thaler sechsmal, und für einen Gulden dreimal, in Lebensgröße für einen Thaler einmal und in Ringen, Berloques (Berlocken, Uhrkettenanhänger – Anm. d. Red.) e.t.c. für einen Thaler einmal angefertigt.“
Das Museum besitzt sechs reine Porträtsilhouetten aus dem 18. Jahrhundert. Die älteste, ca. 1760 entstanden, ist eine Darstellung des „Augustinus v. Baltasar, Vize Praese des Königlich Hohen Tribunals in Wismar und Ritter des königlichen Nordsternordens, geb. am 20. April 1701.“
Eine weitere, die ursprüngliche Reinheit aufbrechende Methode war das Bemalen des Schattenbildes. Die Porträts wurden mit farbigen Hüten bzw. Mützen, weißen Jabots u.ä. ausgestattet, wie z.B. die drei Stralsunder Damenbildnisse. Besonders gern ließen Studenten diese Schattenrisse anfertigen, versahen sie mit ihren Namen, dem Zirkel ihrer Korporation oder gar mit dem Biernamen und verschenkten sie an Freunde oder hängten sie in ihrer Stammkneipe auf. Neben 13 einzelnen Brustsilhouetten – meist in einfachen schwarzen Rahmen mit Goldpapierborte – gehört ein 21 Porträts umfassender Fries von Studentenbildnissen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts zur Stralsunder Sammlung. Die jungen Männer gehörten dem Corps der Borussia Bonn an und trugen weiße „Stürmer“, eine Mütze, die Wilhelm II. schon als Student bevorzugt hatte. Die meisten Stralsunder Studenten sind Lithografien.
Das Kulturhistorische Museum besitzt auch drei Hinterglas-Silhouetten aus den 90-er Jahren des 18. Jahrhunderts und eine von 1820. Die uralte Technik der Hinterglasmalerei tauchte im Zusammenhang mit der Silhouettierkunst wieder auf. Sie diente als Mittel, mehr aus dem einfachen Schattenbild zu machen. Die Porträts bzw. Ganzdarstellungen der Personen sollten in Beziehung zueinander treten, wurden herausgeputzt und in Szene gesetzt. Am deutlichsten wird das bei der Darstellung der Familie des Kaufmanns Hartwig aus Stralsund. Das Bild, das ständig im Fayence-Raum des Museums hängt, gewährte einen Blick in ein Wohnzimmer im Spät-Rokoko-Stil. Hartwig sitzt rauchend auf einem Stuhl, seine kleine Tochter steht vor ihm. Hinter seiner Frau, die am Kaffeetisch sitzt, lehnt leger ein (unbekannter) Herr. Die Wände sind grün, grau und rosa bemalt. Frau Hartwig und ihre Tochter Hermine tragen mit weißer Seide hinterlegte Röcke, die Stuhlpolster schimmern rosaseiden. Kaffeegeschirr, Spiegel und Vase vervollständigen den Raum. Eine ähnliche Darstellung zeigt den Instrumentenhändler Josef Beuttner aus Stralsund, der Pfeife rauchend an einem Tischchen mit Musikinstrumenten steht. Bei der Restaurierung des um 1820 entstandenen Bildes, dessen Deckschicht leider stark zerstört ist, wurde die Schrift „Susimil Siluette, Jungfernstieg 10“ freigelegt. Leider gibt es keine Hinweise darauf, wer der Silhouetteur war.
Nachdem das Zeitalter der klassischen Porträtsilhouette bereits Anfang des 19. Jahrhunderts zu Ende ging und sie bemalt, reliefiert und lithographiert wurde, erhielt sie durch die Erfindung der Daguerreotypie 1839 und der Fotografie 1851 weitere Konkurrenz. Der eigentliche Scherenschnitt jedoch wurde fortgeführt und lebte im Genreschnitt seit der Zeit des Biedermeier und später Illustrationsschnitt weiter.
Das Museum besitzt eine Vielzahl von Scherenschnitten des am 08. April 1821 in Starlsund geborenen Künstlers Karl Hermann Fröhlich. Von Paul Konewka, der 1840 in Greifswald geborenen wurde, besitzt das Museum nur zwei Originale. Es handelt sich zum einen um die Porträtsilhouette Karl Ludwig Sands, die 1932 durch Dr. Homeyer für unser Museum in Berlin ersteigert wurde. Das zweite Original ist ein Silhouettenfries von 23 Figuren, der 1939 angekauft wurde. Die verschiedenen dargestellten Typen sind scheinbar beziehungslos nebeneinander gestellt. Die Betrachtung der Bilder regt dazu an, mögliche Verbindungen zu suchen.
Die Stralsunder Sammlung wird ergänzt durch einen ungewöhnlichen, ja makabren Scherenschnitt. In 12 Bildern ist die letzte Hinrichtung, die in Stralsund 1855 stattfand, dargestellt. Der Schnitt, der kurz danach entstand, soll angeblich von einem stadtbekannten „Stralsunder Original“ hergestellt worden sein. Darüber hinaus hat dieser Scherenschnitt museale Bedeutung für Stralsund.
Öffnungszeiten
Täglich von 10 – 17 Uhr geöffnet!
1. November bis 31. Januar Montag geschlossen!
Zusätzliche Schließtage sind der 24. und 31. Dezember. Führungen sind nach Voranmeldung möglich.
Kontakt
Kulturhistorisches Museum der Hansestadt Stralsund
Mönchstraße 25-27
18439 Stralsund
Telefon: 03831-28790
Fax: 03831-280060
E-Mail: kulturhistorisches-museum@stralsund.de
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